Gemeinsam & undankbar! Über Sexismus an Schreibschulen und in der restlichen Welt.
Seit im Mai in einer Hildesheimer Studierendenzeitschrift ein anonymer Artikel veröffentlicht wurde, der den Sexismus an dem dortigen Literaturinstitut anprangert, hat sich außerhalb des Instituts eine Menge getan: Die Zeitschrift BELLAtriste veranstaltete ein wundervoll unsexistisches Festival, eine Gruppe von über 150 Studierenden hat sich zusammengeschlossen, um Sexismus-Erfahrungen, Diskussionspartner*innen und konstruktive Verbesserungsvorschläge zu sammeln, und in der Kulturzeitschrift Merkur erschien ein vielteiliges Dossier mit Artikeln zum Thema Sexismus an Hochschulen. Innerhalb der Hochschule hat sich bisher dagegen verhältnismäßig wenig getan.
Ich wühlte mich durch die Artikel (ganz unten habe ich sie gesammelt verlinkt) und bin zwar kaum erschrocken, denn das dort Erzählte ist nicht überraschend, aber ich bin stark beeindruckt von dem Mut, der Offenheit und Klarheit der Schreibenden.
Zwei Themen zogen sich für mich durch beinah alle Artikel:
Wie dankbar die strukturell Benachteiligten so oft sind, und wie klein uns das hält.
Anstatt eine Wut zu bekommen, und sich zusammenzuschließen, sind wir erstmal endlos dankbar, überhaupt eine Chance bekommen zu haben. Und bleiben in dieser Dankbarkeit stumm und fleißig.
Was wir alle erstmal für einen Respekt haben! Vor dem Kanon, vor den Männern, vor der Kunst – gehen Männer das anders an? Weil sie geschult werden, mutiger und aggressiver zu sein? Wie dankbar wir sind … wie fucking dankbar für jeden Furz, den die Männer sich mit großer Selbstverständlichkeit nehmen, und wie wir uns unter dem Deckmantel „Self Care“ genau das auch noch einhämmern mit kleinen Dankbarkeits-Übungen und stillen Meditationen.
Ursula Kirchenmeyer beschreibt das sehr eindringlich, und sehr traurig:
Paula Fürstenberg sammelt ihre „unglaublichen“ Beobachtungen an deutschen Hochschulen:
Daraus ergibt sich direkt das zweite Thema, das für mich immer wieder auftauchte und durchschien:
Wenn wir diese Situation verändern wollen, müssen wir das gemeinsam angehen.
Die Basis-Einstellung, die aber die meisten von uns bei künstlich verknappten oder sich knapp anfühlenden Ressourcen (in diesem Fall den wenigen Sonnenplätzen im Literaturbetrieb) aufbringen, ist: Ich kämpfe mich da durch. Ich schaffe das schon, ich werde einfach die/der/das Beste, ich trainiere, ich lese 4.000 Seiten Proust an einem Wochenende.
Damit erreichen wir eventuell, aber völlig ohne Garantie, eine Art von Sicherheit für uns selber – an einer strukturellen Ungleichheit ändern wir aber gar nichts. Genausowenig wie an der Tatsache, dass wir für vergleichsweise wenig Wirkung eine ungleich höhere Menge an Energie aufwenden mussten.
Anke Stelling schildert das sehr offen aus ihren ersten Institutstagen:
Kaśka Bryla folgert daraus, dass wir nur kollektiv eine Veränderung schaffen:
Katy Derbyshire schreibt dazu:
Und vieles mehr.
Hier weitere Highlights aus der herrlichen Artikelflut:
Katja Brunner gibt ihren hochdringlichen und trotzdem sehr vergnüglichen Senf zu dem Fall ab:
Stefan Mesch beschreibt eindringlich, wie wichtig Diversität auch für ihn als Mann ist (oder gewesen wäre) – dass er sich sehnt nach verschiedenen Stimmen, Herangehensweisen, nach Nuancen und komischen, anderen Vorbildern, nach Möglichkeiten, in die vielleicht auch er hineinpasst. Danach, dass mehr „erlaubt“ ist:
Wieder beweist das: Die Vorherrschaft von weißen, älteren, heterosexuellen Männern aus einer bestimmten Bildungsschicht hilft uns allen nicht. Diese Einseitigkeit tut keinem wirklich gut, auch nicht anderen weißen Männern.
Lene Albrecht und Magdalena Schrefel stellen verzwickte Fragen:
Shida Bazyar macht Hoffnung:
Martina Hefter ist ehrlich und ungefiltert und findet die Diskussion zu brav:
Tatjana von der Beek sagt deutlich, wie viel Arbeit das wird und wie dringend sie ist:
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- Hier die Übersicht der Artikel im Merkur: Dossier Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 5 / ganz neu: Teil 6
- Lena Vöcklinghaus (die gemeinsam mit Alina Herbing das Dossier im Merkur plant und lektoriert) verlinkt in ihrem Facebook-Profil und auf Twitter regelmäßig die aktuellsten Beiträge rund um die gesamte Diskussion – und sie hat uns hier großartige Antworten auf schwierige Fragen gegeben.