"Aufräumen mit Marie Kondo" - Das Versprechen der perfekten Hausfrau
„Ich liebe Unordnung!”, freut sich Marie Kondo im Trailer der neuen Netflix-Serie Aufräumen mit Marie Kondo. Als Aufräum- und Entrümplungsexpertin besucht sie Familien zu Hause und erklärt ihnen anhand der KonMari-Methode besser und nachhaltiger aufzuräumen. Dieses einfache Format hat eine Welle der Begeisterung ausgelöst: Es ist die perfekte Mischung aus guten Tipps zur eigenen Optimierung, Organisations-Porno, Drama und Happy End. Und die Show fasziniert, weil sich in den unaufgeräumten Häusern eine ganze Reihe von Problemen und Konflikten offenbaren.
Bei Netflix gibt es übrigens eine zweite, ältere Serie, die genauso funktioniert wie Kondos Show. Auch in Consumed – Jetzt wird ausgemistet besucht eine Aufräum- und Ausmistexpertin Familien, die zu viel Zeug besitzen, und hilft beim Entrümpeln. In beiden Sendungen zeigt sich das Ausmaß der klassischen Geschlechteraufteilung in der Hausarbeit: Die Frau trägt die Verantwortung für Haushalt, Pflege von Kindern und Besitz und das gesamte Management der Familie allein auf den Schultern. Der Mann geht arbeiten, ist aber hilflos, was den Haushalt betrifft. Spoiler-Alert: Am Ende ist das Haus aufgeräumt, alle sind glücklich und die Männer haben gelernt, ab und an mal zu helfen.
Mit dem Erscheinen der Sendung ist Marie Kondo und ihre Methode zum absoluten Hype geworden. Es wird viel über die Show berichtet, vor allem im Zusammenhang mit Minimalismus, Kapitalismus und Konsumwahn. Aber auch aus feministischer Sicht ist Aufräumen mit Marie Kondo ein interessantes und viel diskutiertes Phänomen. Denn Kondos Sendung deckt die Schieflage bei der Hausarbeit auf, löst das Problem innerhalb der Familien aber nur oberflächlich. Consumed ist dagegen weitaus kontroverser und konsequenter und keineswegs so wohlfühlig-harmonisch wie Aufräumen mit Marie Kondo. Jill Pollack, Host und Expertin in Consumed, kümmert sich nicht nur um die Unordnung, sondern spricht die Schieflage bei der Hausarbeit gezielt und direkt an. Ein Hype um Consumed ist aber nicht entstanden.**
Wer ist eigentlich diese Marie Kondo?
Marie Kondo (oder vielmehr Kondō – das letzte o wird im Japanischen lang gesprochen) ist eine japanische Entrümplungs- und Aufräumexpertin. Sie besucht ihre Klientinnen (es sind meistens Frauen, die sie rufen) zu Hause und hilft ihnen erst beim Ausmisten und dann beim Aufräumen. Ihre Methode, die Marie-Kondo-Methode, ist durch drei Weltbestseller, mittlerweile zwei Fernsehshows und Kondos Präsenz in der Öffentlichkeit berühmt geworden. Ihr erstes Buch Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert erschien 2011 in Japan und wurde 2013 ins Deutsche übersetzt.
Die feministische Botschaft von Aufräumen mit Marie Kondo
Fangen wir mal mit dem Positiven an. Im Sinne von Netflix‘ bereits etabliertem Image präsentiert sich Aufräumen mit Marie Kondo auf den ersten Blick als relativ divers. Jede Folge dreht sich um eine Familie und diese Familien haben unterschiedliche Einkommen, Ethnien und Hintergründe und auch zwei homosexuelle Paare werden bei ihrem Ordnungsvorhaben begleitet. Soweit so gut im Jahre 2019. Dargestellt wird allerdings nur die klassische Bilderbuchfamilie: Vater, Mutter, ein bis zwei Kinder. Zum Teil sind diese schon erwachsen oder noch im Mutterleib, aber kinderlos sind nur die homosexuellen Paare. Was sagt uns das? Klar, Zweierbeziehung macht glücklich und ist erstrebenswert. Selbstverwirklichung abseits der Familie ist erst möglich, wenn die Kinder erwachsen sind und der Ehemann verstorben ist, wie eine sehr berührende Folge über eine trauernde Witwe deutlich macht.
Überdeutlich wird in diesen klassischen Familienkonstellationen, dass Hausarbeit immer noch Frauenaufgabe ist und wie belastend diese Verantwortung für Frauen ist. In der dritten Folge von Aufräumen mit Marie Kondo geht es um die Mersier-Familie (Mutter Katrina, Vater Douglas und zwei Kinder). Die kleine Wohnung der Familie platzt aus allen Nähten, überall türmen sich Klamottenberge, Umzugskisten und Videospiele. Mutter Katrina ist Managerin für den gesamten Besitz.
„Sie ist die einzige die weiß, wo etwas ist. Zum Beispiel wenn man ein bestimmtes Oberteil sucht. Ich frage: ‚Wo ist es?‘ Und sie sagt es uns“, erzählt Vater Douglas. Und auf Marie Kondos Frage, ob er denn auch koche, antwortet er stolz: „Papa kocht gar nicht!“
Kinderbetreuung und Kindererziehung werden von den Männern in Marie Kondos Show ernst genommen und auch als geteilte Aufgabe begriffen (anders als bei Consumed). Die Arbeit, die Kinder zu betreuen und zu versorgen, wird gerecht zwischen den Geschlechtern aufgeteilt und beide Elternteile werden als ausgesprochen liebevoll und engagiert dargestellt. Absolut unfähig und hilflos sind die Männer nur, was kochen, Wäsche machen, aufräumen und putzen betrifft.
Aufräumen mit Marie Kondo macht gerade die unsichtbare Arbeit von Frauen deutlich. Nicht nur das Kochen, Abwaschen und Putzen, das ja auch Männer gelegentlich übernehmen, sondern die mentale Arbeit („mental load“), die Sorgenarbeit („worry work“). Sie sind wie Projektmanagerin und Sekretärin in einem: Sie organisieren und machen, sie koordinieren, denken für die gesamte Familie mit und sind für den reibungslosen Ablauf verantwortlich. Katrinas 12-jähriger Sohn Nolan bringt das ganz gut auf den Punkt:
„Ich möchte lernen, wo ich Sachen hintun sollte, aber gleichzeitig gefällt es mir irgendwie, wenn Mama wissen muss, wo alles ist, dann muss ich nicht nachdenken.“
Marie Kondo kommentiert und kritisiert diese Aufteilung selten. Aber sie stellt Fragen. Sie fragt, wer in der Familie für was verantwortlich ist und leitet die Familien dazu an, gemeinsam auszumisten, aufzuräumen und zu falten. Damit setzt die Sendung einen Umdenkprozess für Familien und besonders für die Männer in Gang. Leider weist sie die Männer stets an, die Garage auszumisten, Frauen sollen in dieser Zeit in die Küche Ordnung bringen. Ein homosexuelles Paar, dem sie zu Hilfe kommt, räumt die Küche gemeinsam auf.
Für die Mütter wird sich langfristig gesehen wenig an ihrer mentalen Belastung und Verantwortung ändern. Und genau hier liegt das Problem.
Kritik an Marie Kondo: Die Illusion der perfekten Hausfrau und Mutter
Da es Frauen sind, die am meisten unter dem angesammelten Besitz leiden, rufen sie Marie Kondo zu Hilfe. Marie Kondos erstes und berühmtestes Buch Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert richtet sich auch an Kondos Klientel: Frauen. Ihnen erklärt sie, wie sie ihren Haushalt und Hausstand wieder in den Griff bekommen und dadurch auch noch glücklich werden! Klingt zu schön um wahr zu sein? Wie Magie, die ja sogar im Titel vorkommt? Ist es aber nicht. Jede*r kann es lernen. Sogar du kannst eine gute und vor allem glückliche Hausfrau werden! Es ist ein Versprechen, das sie gibt, und gleichzeitig baut es natürlich weiter Druck bei Frauen auf, perfekte und zufriedene Heimchen zu sein. Sie werden sogar durch Freude an ihren Besitz, an ihre Gegenstände gebunden. Kondo stellt beim Ausmisten stets nur eine Frage: Does it spark joy? Entfacht es Freude? Jedes einzelne Teil soll man anfassen und die Verbindung spüren. Es wird fast schon esoterisch, wenn Kondo in ihrem Buch über die Seele von Dingen redet.
Mich erinnert das an Hausfrauenwerbung aus den fünfziger Jahren: Du brauchst nur den richtigen Staubsauger und schon wirst auch du die perfekte und vor allem glückliche Hausfrau! Du brauchst nur Marie Kondos Methode anwenden und schon klappt es auch bei dir mit dem ordentlichen Heim!
Durch Gegenstände, die Freude entfachen, soll man ein zu Hause aus einem Wohnort schaffen. Die ultimative Aufgabe der Mutter. Es sind die Mütter und nicht die Väter, die diese Aufgabe ernst nehmen und daran zerbrechen. Sie spüren nicht nur das logistische Chaos des Krimskrams, sondern auch die emotionale Last: Scham, Schuld, das Gefühl zu scheitern. Und natürlich ist es ihre Schuld, dass überhaupt soviel Zeugs rumliegt. Sie schämen sich, schlechte Hausfrauen und Mütter zu sein und werden teilweise auch als solche von ihren Ehemännern beschämt. Nicole Clark schreibt in ihrem hervorragenden Artikel dazu:
„[F]ür die meisten Männer ist Unordnung kein Indiz dafür, dass sie in ihrer gesamten Lebensführung gescheitert sind.”
Katrina Mersier, die Mutter aus Folge drei, aber erzählt mit Tränen in den Augen:
„Ich habe das Gefühl, dass ich die Schuld trage, weil ich die Mutter bin und die Mutter soll Erinnerungen schaffen. Die Mutter soll das Haus zu einem zu Hause machen. Und das liegt mir sehr am Herzen. Es ist meine Aufgabe die Wäsche zu machen, einkaufen zu gehen, abzuwaschen, zu kochen und das Kinderzimmer aufzuräumen. Ich habe das Gefühl, dass ich da versage. Das ist für mich nicht in Ordnung. Ich will ein zu Hause schaffen an das [sich meine Kinder] erinnern werden. Ich will, dass sie sich daran erinnern, wo sie Ruhe hatten, geliebt wurden. Sie sollen wissen, dass sie hier unterstützt wurden.“
Ihr Mann bestätigt diese Aussage mit einem knappen und unemotionalen: „Genau“ und Katrina entschuldigt sich für ihre Tränen. Kondo mischt sich in diese Dynamik nicht ein.
Dennoch: Es scheint, als würde sich die Situation der Frauen zumindest ein bisschen verbessern. Das Haus ist einmalig in einen perfekten Zustand gebracht, die Familienmitglieder wurden angeleitet, ihre eigenen Sachen künftig selbst zu verwalten. Die Ehemänner haben etwas begriffen, werden künftig mehr helfen. Sie werden helfen – die Frauen tragen die Verantwortung weiterhin selbst. Es gibt keine gerechtere Aufteilung der Verantwortung, der mentalen Arbeit. Aber die Frauen werden besser darin, ihrer Rolle als Mutter gerecht zu werden. Wie Marie Kondo selbst.
Die Illusion der perfekten Frau: Marie Kondo als Vorbild
Marie Kondo erstrahlt – ganz bescheiden – im Glanz ihrer eigenen Vorbildfunktion. Sie wird als perfekte Mutter inszeniert. In jeder Episode kommen ihre Kinder und ihr perfekt aufgeräumtes zu Hause zur Sprache. Die anderen Frauen messen sich an ihr. Marie Kondo als perfekte Frau. Sie schafft mühelos die Doppelbelastung Beruf und Familie - immerhin ist sie eine sehr erfolgreiche Geschäftsfrau. Dargestellt wird sie aber gerade nicht als beruflich erfolgreich sondern als gute Mutter und Hausfrau. Die Serie ist durchsetzt von Seqeunzen, in denen sie den Zuschauer*innen Tipps gibt und ihre Methode näher erklärt. In diesen Szenen sitzt sie beispielsweise nicht an einem Schreibtisch sondern in einem gemütlichen und sauber aufgeräumten Wohnzimmer. Stellen ihre Klientinnen ihr Fragen, fragen sie nicht nach Kondos Marketing-Strategie, sondern danach, wie sie ihren Töchtern Aufräumen schon im Kleinkindalter beibringt. Dazu ist Marie Kondo höflich, bescheiden und zurückhaltend. Sie streitet nicht und sie kritisiert nicht, ganz anders als Jill Pollack in Consumed. Ist sie vielleicht deswegen so beliebt, weil sie sogar in ihrer sehr erfolgreichen Karriere keinem Mann den Platz streitig macht? Weil sich ihre Domäne in der Arbeitswelt auf typische “Frauenarbeit” beschränkt? Die Vereinbarung von Kind und Karriere, so wird zumindest suggeriert, ist bei ihr kein Problem. Nicht mal Thema. Von Mann, Kindern, Haus kommen jedenfalls keine Klagen, denn Kondo wird allen Anforderungen, aller Verantwortung gerecht. Sie fügt sich in das Bild der perfekten Frau, die problemlos und ohne sich zu beschweren die ihr zugedachten Aufgaben übernimmt und perfektioniert. Und mit ihrer Hilfe können und sollen sich auch alle anderen Frauen ihrer Verantwortung stellen und diese meistern. Die Frage ist nur: Wollen wir das? Und die Antwort muss lauten: Nein, wir wollen Gleichberechtigung bei Haus- und Sorgenarbeit und nicht dem Druck standhalten müssen, die perfekte (Haus-)Frau zu sein.
**Ein kurzer Hinweis zu Consumed: Ich bin keine Psychologin, aber ich habe das Gefühl, dass psychische kranke Menschen in dieser Serie dargestellt und ausgenutzt werden, um das Drama zu erhöhen. Vor allem aber nicht ausschließlich pathologisches Horten und Sammeln (umgangssprachlich oft Messie-Syndrom genannt) wird meines Erachtens ausgestellt und der Zwang sich von ihrem Besitz zu trennen, löst sichtbaren emotionalen Stress und Belastungen für die Betroffenen aus. Dabei werden sie nicht von professionellen Psycholog*innen begleitet. In Kondos Show werden meines Erachtens keine psychisch Kranken Menschen dargestellt.