Franz
Ich hab den Freund von meiner Oma geerbt, sie ist vor sieben Jahren gestorben, er kommt immer noch vorbei. Er übt hier Tenorhorn, weil sie ihn das in seiner Mietskaserne nicht lassen und kehrt Fichtennadeln zu Haufen. Hauptsächlich baut er "Bawalatschgen" (kommt offenbar von Pawlatsche), auch Mausfolln genannt, im Garten - da wo ich nicht mehr hinschau. Er will Aufträge von mir, damit er was tun kann, weil ohne Auftrag tut er nichts, er war bei der Bundeswehr. Also schreibe ich Zettel mit Anweisung zum Heckenschneiden. Er ist dann sehr dankbar. Kommt er, schreit er "Nichts Neues?" durchs Treppenhaus, geht er, legt er die Hand aufs Herz. Sag ich "Tschüß!", sagt er "Saubreiß!".
Er versteht nicht alles, weil er eher selten das Hörgerät drin hat. Sie haben jetzt so einen neuen Pfarrer von woanders, er weiß nicht was der predigt. Da tät aber auch das Hörgerät nichts helfen, nach der Kirche weiß immer keiner worum es wieder gegangen ist. Seit sie ihm das Radl gestohlen haben wie er bei der Osterbeichte war, geht er gar nicht mehr beichten. Sowas nimmt er ernst. Er will auch aus der Kirche austreten, aber seine Schwester lasst ihn nicht, wegen dem in den Himmel kommen. Er fragt seinen Cousin, der wollt erst Pfarrer werden, dann nimmer, jetzt ist er Messner, jedenfalls sagt der, er kann ruhig austreten, er ist ja getauft, des is die Hauptsach. Ich soll zu einer schönen Mess gehen nächste Woch, ich geh aber in keine Mess. Er sagt meine Oma war aber eine große Kirchensängerin. Ich sag, ich kann nicht singen. Er sagt, das gibt es nicht, jeder kann singen. Ich sag, ich kann aber nur einen Ton. Er sagt, das gibt es. Die Bläserin, die sie letzte Woch eigrobn (beerdigt) ham, hod auch nur einen Ton auf dem Waldhorn spielen können. Leider hat er ihren Nachruf in der Zeitung verpasst, er fragt sich was da drin steht, vielleicht das mit dem Ton. Er hat die ganze Nacht einen Film über den Rhein gesehen, das war sehr interessant, hochinteressant. Er hat bei der Bundeswehr einmal in der Woche denen im Offizierslehrgang politischen Unterricht geben müssen, mit Zeitungsartikeln, aber das war da schon alles Lügenpresse, das war ihm zu viel. Dann wollten sie noch auf elektrische Schreibmaschinen umstellen, da ist er gegangen. Er ist da eigentlich nur hin, weil er in den Heeresmusikkorps wolln hat, aber da haben sie ihn nicht genommen. Seitdem schlaft er in einem harten Bett. Er sagt, er diskutiert gern mit mir, das ist interessant. Zum Dank schneidet er mir einen dürren Ast vom Apfelbaum, den mit der Mistel, die er da vor Jahren angepflanzt hat und die jetzt hin ist. Damit baut er gleich eine neue Bawalatschge.
Er ist nicht zufrieden mit meiner Gartengestaltung, er kann mir nicht verzeihen, dass ich die Rosa Rugosa und den ganzen Topinambur ausgerissen hab. Die hat er der Oma gepflanzt, die waren so schön. Ich sag, ich bin so froh, dass ich die weider (los) hab, das sind invasive Pflanzen, die arbeiten alles andere auf. Er sagt "Geh!" und rast auf seinem Klapprad davon. Im Tagebuch von meiner Oma steht sehr oft "Franz spinnt." Das tut ihm sehr leid, er vermisst sie so. Es war ausgemacht, dass er eher stirbt, dann kriegt sie sein Geld. Das kann er ihr nicht verzeihen, dass er jetzt noch so lang leben muss. Er stirbt einfach nicht, obwohl er den Prostatakrebs nicht behandeln lässt. Aber der Rücken tut ihm weh. Der Hautarzt sagt, er soll sich einreiben mit einer Creme mit 20 drin (Sonnencreme), er, sich einreiben, er hat sich noch nie eingerieben, da fangt er mit 80 nicht mehr an. Wie lang soll er denn noch leben. Er mag nicht mehr. Er geht jeden Tag zum Boon (Schwimmen) im Sommer und isst nix mit Zucker. Außerdem ist er trocken.
Er sagt, die lassen die AfD nie ausreden im Fernsehen, er will schon wissen, was die zu sagen haben. Er sagt, die Wagenknecht meint es nur gut. Es kommt jetzt immer so eine Werbung, lieber Kopftuchmädchen als BDM-Mädchen, er ist für die BDM-Mädchen, die sind wenigstens deutsch. Alles was in seiner Jugend gut war, ist jetzt verboten. Nicht mal im Museum darf er es sich anschauen. Das geht ihm nicht ein. Manchmal bin ich müde, manchmal muss ich schnell wo hin, manchmal ist mir schlecht, ich kann dann nichts sagen. Ansonsten hilft oft "Und dann, Franz? Und was ist dann? Was machen wir dann?" Er weiß es nämlich nie, nur "So nicht!". Manchmal meine ich, wenn ich mit ihm rede, ist das auch Dienst an der Demokratie.
Er sagt, ich bin wie meine Oma, die war auch immer so gegen die Nazis, die hat sich immer so aufgeregt, die hat das Gute nicht gesehen. Die hat auch immer dagegengeredet. Die war grün. Wie sie einmal miteinander auf so eine Kriegsgräberreise sind und er das Grab von dem Hitler seinen Eltern fotografieren hat wollen, da hat sie sich so aufgeführt, dass das Foto ganz schief geworden ist. Wie geht so eine Liebe, frag ich mich. Wenn das bei der Politik so auseinandergeht. Man schreibt in sein Tagebuch "Franz spinnt.", man lässt ihn nie übernachten, außer einmal, Glatteis, das wird dann die schlimmste Nacht, furchtbar, des mach ma nimma. Man sagt das Wichtigste ist "Un-ab-häng-ig. Un-ab-häng-ig."
Er kauft einen "Revisor" (Receiver) und eine Lesebrille für viel zu viel Geld, weil er mich nicht fragt. Der Spangler soll kommen, jetzt muss er bei ihm vorbeifahren wegen einem Termin, er hat nämlich kein Telefon. Er will nicht, dass jeder ihn erreichen kann, sie sollen ihm Zettel einwerfen, wenn sie was von ihm wollen. Er schaut oft, ob Zettel da sind, er ist ganz verschwitzt deswegen. Er sagt, "Ich bin ja selber schuld, ich bin an allem selber schuld."
Ich weiß so viel über das Alter, inzwischen hoff ich, ich stirb bevor es zuschlägt. Meine Oma hat immer gesagt, sie hofft, es trifft sie amal gscheit der Schlag. Sie hat in den Altersheimen Seniorentanz gemacht, da wollte sie selber wirklich nicht hin. Meine Schwester hat auch einen Tag so wo Praktikum gemacht und gesagt, die Oma hat recht. Bevor die Oma da hinkommt, derschlagt sie sie lieber mit einer Schaufel. Die Klara, also meine Schwester, war seitdem für die Oma die große Hoffnung. Sie verlässt sich da ganz auf die Klara, sie ist so froh um sie. Die Oma hat dann tatsächlich gscheit der Schlag troffen. Früh, aber wie gewünscht. Heutzutage täte man sagen, sie hätte ihren Tod "manifestiert". Man kann jetzt ganz viel manifestieren. Schöne Schuh, viel Geld, man muss nur die Blockaden lösen. Ich such mir auch bald was Schönes aus.