Sophia Mainka und Sophie Schmidt: Nachrichten im Künstlerinnenprekariat

Sophia Mainka und Sophie Schmidt: Nachrichten im Künstlerinnenprekariat

An die flotte Schreibe einer Irmgard Keun (Briefe „Ich lebe in einem wilden Wirbel“; antiquarisch erhältlich), den Jungmädchen-Tagebuchroman der Vorkriegszeit oder an eine Art satirisches Enid-Blyton-Buch lässt uns der exklusive Einblick an den Briefwechsel denken, den uns das Künstlerinnenduo Sophia Mainka und Sophie Schmidt gewährt. Der Text wurde im Rahmen der jährlichen Lesung Kooperationen erstmalig aufgeführt. Für einen gemeinsamen Auftritt diente er als Grundlage. Mainka und Schmidt bedienen sie ein wenig an der historischen Gattung des Mädchentagebuchs oder Briefs an die Familie/Freundin, zeigen Klischees auf und setzen Idyll neben Brachialität.

Fröhlich plaudernd auch angesichts der Not, wie sich auch Sylvia Plath in Briefen an ihre Mutter gerierte („Briefe nach Hause 1950–1963“; antiquarisch erhältlich), präsentieren sich die beiden in den ausgetauschten digitalen Nachrichten als zwei beschwingte Frauen, die sich jeweils gegenseitig zärtlich mit Brust anreden und deren Welt sich um Alltag, Autoritätsheischerei, Krieg, Körperverschönerung, das Wetter und die Natur, Reisen, Alltagsrassismus und vor allem Geldsorgen dreht. Authentizität blitzt hier und da durch Schlitze des Optimismus, dann geht’s schon engagiert weiter mit Tüdelü und dem launigen Tatá-Ton.

Die weibliche Pose der unbedingten Leichtigkeit hat Tradition und zwar, bis heute, als Dienstleistung. Das weibliche Sonnenscheinchen, niemals ernsthaft besorgt, ist als Moderatorin, It-Girl, Entertainer, aber auch privat bei Familienzusammenkünften und in Kollegenkreisen nach wie vor gefragt. Vor allem Frauen und Kinder fühlen sich oft verpflichtet, die gute Laune in ihrer Truppe aufrecht zu erhalten.

Liest man den Text als Mensch gewordene Durchhalteparole, bringt er ein bittersüßes Erwachsenenspiel ans Tageslicht und lässt sich als Kritik an der (Selbst-)ausbeutung emotionaler Arbeit sehen. Gleichzeitig entdecken wir aber auch aufrichtige, ressourcenvolle Solidarität. Und das rührt an und wärmt das feministische Herz.

Sophie Schmidt und Sophia Mainka haben weiße Leinwände mit ihren Köpfen durchlöchert und rauchen Zigaretten ohne Hände mit einer speziellen Halteapparatur.

Sophie Schmidt und Sophia Mainka haben weiße Leinwände mit ihren Köpfen durchlöchert und rauchen Zigaretten ohne Hände mit einer speziellen Halteapparatur.

Boooorst, oh weh, jetzt kostet das Ding schon 100 Öken. Um halb zwei mit BahnCard billiger. Brust wie machen wir es? Ich kann’s nicht kaufen. Bin stark im Minus. Brust. Du?
Mist, Brust, neeee, hab ne PayPal-Sperre. Mal sehen, ob sich noch was auspfeifen lässt.
Borst, Kacke. Es hat nicht geklappt. So was Blödes.


Borst ... das klingt ganz, ganz herrlich: gut, dass dir der Gott und der Fluss das Handy entrissen haben. Und wie gut, dass du nun auch endlich getauft bist! Es klingt phänomenal großartig. Borst, glaubst du, die Welt verändert sich für immer? Vllt. nun doch die Apokalypse...!? Nun, dann sterben wir im Norden. Sei’s drum, Borst: wenigstens zusammen. Das Ticket ist gebucht! Brust, danke. Großartig!

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Brust, meine katholische Bauchborste, wie wunderschön und glücklich wir zusammen sind. Dann stehen unsere Brüste senkrecht für alle Zeit! Bei Speyers wurde ich übrigens abgelehnt, du?


Borst, die Tage sind so irre intensiv hier und enorm. Ich bin ganz erotisiert von diesen Düften der Luft.
Mein Atti ist nun in den Baumwipfeln und es schaukelt ganz wild und hitzedurchdrungen. Ich falle gleich fast in Ohnmacht. Es ist so irre, irre heiß und ich hab den ganzen Tag in der Hitze gezeichnet und hatte dann so Halluzinationen und so. Jetzt lieg ich nur, wegen Schummer, aber es ist immer noch der Wahnsinn.
Draußen weht ein heißer Wind in Knallgelb, und vorhin saß ein Papagei, also so eine Schweppesfrau neben mir und ist fast explodiert. Auch die Bäume flippen aus. Borst, es kippt, das Wetter, die Welt. Mir sind 300 Euro im Wind weggeflogen und ich habe es erst zu spät gemerkt. Es ist seltsam, alles. Brust, es kommt was hoch.


Meine liebe Brustborste!!
Gerne würde ich dir mehr erzählen, und überhaupt von den münchnerischen Städtegefühlen, aber ich muss leider nun in die Akademie aufbrechen. Nur so viel: es ist heiß und golden und wüstenartige Luft wirbelt manchmal über die Autos und hinterlässt dabei gelbe Schlieren. Die Linden vor der Akademie wurden viereckig geschnitten, was sehr schlimm ist, und in Gröbenzell sind ganze Bäume in silbrige fangnetzartige Gespinste einfach eingewickelt. Es sind Raupen, die das tun, und jetzt sind alle zu Faltern geschlüpft, und der Baum ist mit weißem Gummi und ohne Blätter zurückgelassen und sieht aus wie ein Gespensterbaum. So titeln denn auch die Zeitungen: Gruselphänomen in Fürstenfeldbruck. Unheimlicher Baumspuk bei Puchheim.
Ich würde außerdem gerne nach Italien reisen, obwohl Gröbenzell wie beschrieben auch gute Überraschungen bereithält. Brust, sonst gibt es nichts Neues.


Brü, du, gestern hab ich das Extremste überhaupt gemacht. Ich war im Body Pump! Da war’s wie Krieg, und meine Muskeln sind kaputt gegangen mit den großen Geräten und der futuristischen Frau, vorne in Pink. Außerdem extreme Musik wie Bombenschüsse und das Ganze in den Körper rein. Das trägt man dann mit sich, so durch die neue Stadt, als Krieg im Bein.


Brust, wie geht es dir? Aber eigentlich musst du das sehen: Ägypten in Wien. Alle tragen ihr Haar vor’m Gesicht.
Borst, das ist alles unser, weil die Mystik unser ist. Punktaus. Borste, die Schulden stapeln sich. Ich rufe Eduard an.


Brüüüüü, am Flughafen wollten sie doch tatsächlich wissen, ob ich vorhabe zu bleiben. Natürlich auf gar keinen Fall! Hier zu wohnen wäre nichts.
Borst, wir waren dann noch in einem Pedikürestudio. Alle New Yorkerinnen machen das regelmäßig hier. Dann sitzen sie auf großen Ledersesseln mit Massageeinbauten, sind durch und durch verkabelt mit ihren Handys und lassen sich ihre Füße kraulen. Sie sind alle so rund um die Dreißig, ganz in ihrer Blüte. Wenn sie sprechen und das tun sie manchmal, haben alle diese gleiche sehr freundliche Verzerrung. Brü, sie sind sehr zeitgenössisch.
Ach Borst, nun erwache ich in Amerika und möchte doch in einem Münchner Bäcker eine Butterbreze mit Cappuccino an einem Schwabinger Tisch verspeisen.


Brust, du glaubst es nicht. Wir sind mit Eduard in St. Gilgen und der Kaiser persönlich, Franz Joseph kommt, ein Mordsding! Mit der Kaiserin höchstselbst, mit dem Schiff, und wir sitzen in der ersten Reihe. Brust, ach Gott, jetzt kommt die Kaiserin, ich muss aufstehen und die Hand auf’s Herz!


Brüh, ich schreib spät, dass dich das Geschriebene früh morgens erreicht. Ich habe morgen ein Vorstellungsgespräch in einer Schule: es wäre sehr wichtig, weil das eine richtige Sache wäre, wo ich richtig Geld verdienen könnte. Können wir das Grappi also verschieben?
Brüh, ich hab dem Rektor nun nochmal geschrieben und gesagt, dass es morgen eigentlich nicht geht bei mir. Nun muss ich jedoch abwarten, ob er zur Not auch nächste Woche könnte, da sind allerdings Ferien.


Ach Brüh, stress dich nicht weiter. Ich hole den Tisch und dann sehen wir. Klar, je mehr Zeit wir haben, desto besser, aber das mit dem Geld ist ja leider existentiell, gell?


Brüüüüüüliii, dann treffen wir uns doch um 13 Uhr im Grappi. Kannst du mir vielleicht was leihen? Nur noch wenige Tage, dann sollte das Geld kommen!


Brüh, hier war alles so extrem wie selten. Aber es kam sehr gut an, einen solchen Applaus hatte ich selten und die Engländer fanden es so humorvoll und mögen das Schräge, wie es scheint. Naja Brü, es ist auch was Blödes passiert mit einem Hakenkreuz und so. Richtig mies. Naja, erzähl ich dir. Brü, ich hoffe ich kann nach Deutschland reisen ohne Pass. Brüh, ich bin echt erschlagen von allem und London ist eine extreme Stadt. Ich sag’s dir, aber ich mag die Engländer so. Und überhaupt Brü, weißt du, Reisen tut gut und befreit trotz aller Strapazen und trotz der Tatsache, dass wir es uns eigentlich nicht leisten können.

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