Ein Plädoyer für Wut als Werkzeug
Ich habe versucht, mich dem großen Thema weiblicher* Wut anzunehmen. Ich bin nicht gut damit klargekommen – der eine kohärente, spannende Essay dazu ist noch nicht entstanden. Da ich es aber für ein extrem wichtiges Thema halte, beleuchte ich in nächster Zeit in loser Reihung immer wieder mal verschiedene Aspekte von weiblich gelesener Wut.
Immer in der Hoffnung, damit ein Gespräch anzustoßen – rede also gerne mit! Per Mail, auf Facebook oder Instagram.
Ein Plädoyer für Wut als Werkzeug
Wut kann ein wunderbares Gefühl sein. Ein Rausch, eine Macht, eine Kraft, eine pulsierende klopfende Energie, die Hormone wie Adrenalin durch die Adern schwemmt, die wach und wild macht.
Wütend sein heißt am Leben sein, heißt teilnehmen und sich betroffen fühlen, heißt unterscheiden können zwischen dem, was richtig ist, und dem, was falsch ist. Ein Gefühl von: Hier stimmt etwas nicht, das ist nicht fair, das passt mir nicht, ich weiß, dass es anders sein müsste.
Deshalb ist wütend so viel und mal so falsch und mal so wichtig. Wir können die Wut eines Mannes, dessen Frau heute Abend nicht mit ihm schlafen will, nicht mit der Wut einer Mutter vergleichen, deren Sohn von einer rassistischen Polizei erschossen wurde. Wir können die Wut einer Sechzehnjährigen, die nicht auf das Konzert gehen darf, nicht mit der Wut eines Studenten vergleichen, der sich keinen Computer leisten kann.
Ich bemerke aber an mir, und das lässt mich aufhorchen, dass die heiße Wut insgesamt weitestgehend aus meinem Gefühlsarsenal geschwunden ist. Sie ist nicht mehr so griffbereit wie früher, als ich türenschmetternd Klassenzimmer verließ und Berufsschullehrer anbrüllte.
So wie damals will ich sie auch gar nicht mehr, da überkam sie mich und ich war machtlos.
Ich will mir meine Wut gerne als Werkzeug nutzbar machen.
Zeichen meiner aktuellen Wutlosigkeit oder absoluten Kopfgesteuertheit: Ich frage mich sofort, ob ich das darf. Ob das nicht zu viel verlangt ist, die Wut als Werkzeug parat haben zu wollen. Ob auch das nicht Ausdruck meiner Privilegiertheit ist, dass ich selber entscheiden will, wie ich mit meiner Wut umgehe.
Und das sind wichtige Fragen, denn, Privilege Check: Ja, das ist ein Privileg, das ich da habe. In meinem Alltag ändert sich äußerlich erstmal nicht so viel, ob ich nun meine Wut auslebe oder nicht. Mein Leben ist nicht in dem Maße geprägt von den Strukturen und Regeln eines unterdrückenden Systems, dass ich jeden Tag aufwache und überhaupt nicht anders sein kann als wütend.
Also muss ich mich bewusst dafür entscheiden, bewusst hinsehen.
Meine Gründe für die Wut, die ich gerne hätte, sind auf der einen Seite subtiler, das sind die tausendundeinen täglichen Zwischenmomente und unklaren Grauzonen. Und auf der anderen und entscheidenden Seite haben sie nichts mit mir zu tun: Ich will für und mit anderen wütend sein. Denn sobald ich einen Blick über den Tellerrand meiner eigenen Realität werfe, finde ich mehr als genug Gründe, endlos wütend zu werden.
Genau deshalb ist es nicht zu viel verlangt. Genau deshalb will ich mir nicht mehr täglich sagen müssen „Ich darf das“, sondern will eine direktere Verknüpfung zu dieser Erlaubnis, eine adrenalingetriebene Verbindung zu meiner Wut kultivieren.
Wir brauchen eine neue Wut. Aber nicht nur für uns.
Wir, die wir etwas besser machen wollen in dieser Welt, die wir gute Verbündete sein wollen, brauchen Ausdauer für die Veränderung. Für die Gespräche, die wir führen, die Artikel, die wir schreiben, das Geld, das wir spenden, die Informationen, die wir uns besorgen, die Demos, die wir besuchen.
Ja, mit einem veränderten politischen Bewusstsein kommt auch eine neue mediale Wut, eine #metoo-Wut, eine, die uns antreibt, für Veränderung zu sorgen. Aber wir brauchen sie nicht nur im Kopf, sondern auch im Bauch, sie darf nicht nur intellektuell sein, sondern wir müssen sie fühlen. Und dann als Werkzeug nutzen.
Wie wäre es mit Weltwut?
So wie Weltschmerz, aber besser, weil produktiver. Weil nach vorne und nach Aktion gerichtet. Eine Wut, die uns trägt und stärkt und dranbleiben lässt. Und zwar insbesonders auch an Themen, die uns nicht direkt persönlich betreffen, sondern unsere Umwelt, die Menschen um uns, die aufgrund ihrer Körper- und Lebenssituationen, aufgrund ihrer Sexualität oder Gesundheit, eine andere und beißendere Reaität als wir selber erleben.
Wie das gehen kann.
Wie ändere ich das? Wie sage ich öfter Nein? Wie stelle ich mich öfter für andere hin? Wie begreife ich, dass meine Wut auch Teil meiner Intuition ist? Dass ich verpflichtet bin, sie zu leben und zu hören? Wie finde ich ein angemessenes Maß an berechtigter Empörung, ohne in humorlose Verbiesterung abzudriften? Wann ist das egal?
Ich will …
1. Mich intensiver und umfassender informieren.
Zum einen, weil ich natürlich wissen muss, was für ein Scheiß passiert, um mich über diesen Scheiß aufzuregen. Zum anderen aber, weil ich ein gedankliches Gerüst brauche, in dem ich neue Ereignisse einsortieren kann.
Eigentlich Basics, ich weiß. Gehen bei mir aber oft unter in ohnehin schon zu vollen Tagen, an denen ich schon zu lange am Computer gesessen und Hirn und Augen angestrengt habe.
Weil ich außerdem solche Schwierigkeiten mit dem Gezanke der Parteienpolitik habe und deshalb auch keine Tageszeitungen lese, habe ich die Blätter für deutsche und internationale Politik abonniert. Die erscheinen monatlich (auch in Printform), greifen aktuelle Themen auf, sind langformatige, inhaltsschwere, kaum bebilderte und nicht-schreierische Artikel. Also vielversprechend für hochsensible Softies wie mich.
2. Mir Dinge mehr zu Herzen gehen lassen.
Nicht, dass heute im Bioladen meine Lieblingssemmel schon ausverkauft ist. Sondern das, was um mich passiert. Das, was den Menschen um mich zustößt, betrifft auch mich. Ich will mir das zu Herzen gehen lassen, ich will mich nicht mehr so oft von den schlechten Nachrichten abschotten. Ich bin natürlich stark genug, das auszuhalten – und die Betroffenen wurden ja gar nicht erst gefragt.
Das kann ich natürlich am besten, wenn ich gleichzeitig einen Ort habe, an dem ich die entstehende Wut produktiv nutzen kann – sonst kippt das schnell in Ohnmacht. Für mich ist das genau hier: Wepsert ist ein Ort für meine Wut, und ich will ihn noch viel stärker dafür nutzen.
3. Begreifen und verinnerlichen, dass ich nicht von allen geliebt werden muss.
Ich bin noch lange nicht wirklich frei davon, aber ich habe Prioritäten entwickelt. Fremde Menschen müssen mich nicht lieben, Bekannte müssen mich nicht lieben, Nachbarn nicht und die am Rand nicht und alle restlichen Teile der Herde auch nicht. Ich habe einen kleinen, warmen, engen Kreis an Menschen, die mich ehrlich kennen und lieben. Das muss reichen. Ich kann sagen, was Sache ist und falle nicht von der Erde. Ich kann unbequem sein und stehe trotzdem nicht komplett alleine da.
(Auch das: ein Privileg.)
4. Visualisieren, wie ich komplett ausflippe.
Und dabei spüren: Auch das geht. Ich muss mir nur immer wieder vor Augen führen, was Trump derzeit macht – er bricht mit jeglicher Konvention und Tradition, und kommt dauernd damit durch.
Wieso erlauben wir, die wir andere und liebevollere Ziele haben, uns nicht auch mal eine ähnliche Dreistigkeit? Ohne dabei die sinnvollen und wichtigen Strukturen mit umzustoßen, aber beherzt über die falschen Dinge springen, die wir als gesetzt glauben, über unsere eigene brave zaghafte Vorsicht. Auch wir würden unversehrter durchkommen, als wir es vermuten, und hätten den irrlaufenden Kräften etwas entgegengesetzt.
5. Andere einbinden und über die fehlende Wut sprechen.
Je mehr ich mit anderen über das Wütend-Werden spreche, darüber, wie wir früher provokantere Thesen aufgestellt haben und wo die heute geblieben sind, umso mehr feuern wir uns gegenseitig an. Zu wissen, dass wir unsere Texte gegenseitig auf Wut und Schärfe lesen, ist eine Befreiung.
6. Meditieren.
Gehört zwar irgendwie in jede Liste inzwischen, aber vielleicht ist ja was dran – Meditation sorgt zwar eher für mehr Ruhe im Hirn, aber vor allem auch für eine Vergrößerung der Lücke, die zwischen Aktion und Reaktion entsteht. Diese Lücke gibt mir die Möglichkeit, eine aufquellende Wut wahrzunehmen, und sie gibt mir die Gelegenheit, mich zu entscheiden, ob ich die Wut nutze oder nicht. Nur so kann ich meine inzwischen leider gut antrainierten Nettigkeitsreflexe überspringen.
7. Mehr wütende Frauen* hören und sehen.
Das heißt für mich zur Zeit vor allem Rapper:innen zuhören.
Aber auch die Ausstellung Manifesto hatte zum Beispiel einen ähnlichen Effekt auf mich. Cate Blanchett in diesen starken, wütenden, klaren Monologen zu sehen, war eine Erweckung:
Um das zu verstärken, werden wir als einen Teil der Wut-Serie Beispiele von wütenden Frauen* sammeln, die uns anregen. Wer ist in deiner Hall of Wut? Schick sie uns, dann nehmen wir sie mit auf!