Popsofa: Weibliches Exzentrikertum in Tiger King
Die Netflix-Doku-Serie Tiger King ist zum Hype geworden. Sie erschien dieses Jahr im März in der ersten Phase des Corona-Lockdowns. Man wird in die bizarre Welt von exzentrischen Wildtierfanatiker*innen hineingesogen; ein Strudel, dem man sich kaum entziehen kann.
Die Serie dreht sich um Joe Exotic (mit bürgerlichem Namen heißt er Joe Schreibvogel). Joe Exotic ist ein schwuler, waffenaffiner, polygamer Redneck, der einen privaten Zoo für Raubkatzen und ein paar andere Wildtiere betreibt. Joe Exotic und seine Kontrahenten, andere Raubkatzenliebhaber, werden bei einem Drahtseilakt zwischen Legalität, Kriminalität, Tierliebe und Tierquälerei gezeigt.
Es ist viel über Tiger King geschrieben worden. Man kann über das Format (Doku-Serie, die ihre Protagonist*innen bloßstellt) und ausbeuterische Elemente der Serie (auf privates Leid mit der Kamera draufgehalten) denken, was man will. Wobei die Serie gerade davon lebt, dass man sich danach mit anderen über das Gesehene austauschen muss (Anja Rützel auf Spiegel Online). Es gibt viel zu kritisieren, was die Handlungen der Protagonist_innen angeht. Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die Darstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit lenken.
Auch darüber wurde schon geschrieben. Zum Beispiel beschreibt Quentin Lichtblau in der Süddeutschen die Serie als “großartig verwobene Mischung aus True Crime, kritischer Dokumentation, Drama und Sittengemälde zwischen verirrter, egomanischer Männlichkeit und einem fehlgeleiteten amerikanischen Freiheitsbegriff”. Ja, es geht um “verirrte, egomanische Männlichkeit” und wir werden darauf zurückkommen. Aber wie steht es mit Weiblichkeit?
Mir geht es zunächst um Carole Baskin, die einzige weibliche Protagonistin der Serie. Carole Baskin ist die Gründerin von The Big Cat Rescue. Baskin ist nicht nur die Todfeindin und Erzrivalin von Exotic in der Serie, sondern mittlerweile auch in der realen Welt Projektionsfläche für (misogynen?) Hass. (Siehe dazu z.B. hier oder hier.) Warum ausgerechnet sie diejenige ist, die diesen Hass erfährt, wo doch die Männer in der Serie nachweislich gewaltbereit, aggressiv und missbräuchlich sind, ist erklärungsbedürftig.
Wer mir nicht glaubt: Es gibt eine Folge, in der Doc Antle, ein anderer Wildtierparkbesitzer, junge Frauen groomt (d.h. eine emotionale Verbindung zu ihnen aufbaut, um sie dann auszunutzen). Doch die Folge endet mit einem angeblich noch größeren Skandal: Carole Baskins Ex-Ehemann ist seit Jahren spurlos verschwunden. Es führt zwar – laut Polizei – keine Spur zu ihr, die Serienmacher nehmen sich dieses Cold Cases in gepflegter True-Crime-Manier aber natürlich an.
Also noch mal: Dass ein 60-jähriger Mann 17–20 jährige Frauen mit Tigerbabies in seinen privaten Zoo lockt, sie ohne Bezahlung arbeiten lässt, sich als Yoga-Guru stilisiert und in Poly-Ehe mit diesen jungen Frauen lebt, ist im Narrativ der Serie weniger schockierend, als dass Joe Exotic Carole Baskin für eine Männer-Mörderin hält. Und klar: Grooming ist ein relativ neuer Begriff und kann schwer zu handhaben sein, wenn sich die Opfer selbst nicht als Opfer sehen, sondern freiwillig beim Täter bleiben. Auf der anderen Seite kann man beim Ehemänner-Mord auf eine sehr lange Tradition und sehr weitverbreitete Topoi zurückblicken: Hexen und Schwarze Witwen zum Beispiel.
Die Frau als Gegenspielerin zum Spaß der Männer
Carole Baskin ist die Spielverderberin, die durch ihre exzentrische Art wunderbar in die Spiel- und Fantasiewelt der Serie passt. Baskin liebt – wie Exotic und Antle – Raubkatzen. Okay, kann man verrückt finden, ist es auch, aber die Protagonist*innen teilen diese Vorliebe. Baskin macht aber immer wieder deutlich, dass sie sich für die Rechte von Wildkatzen in Gefangenschaft einsetzt. Sie hat eine Auffangstation, ein Rescue-Center für Großkatzen. Auch sie hält Tiere in Käfigen. Auch ihre Gehege sind klein – sie ist sich aber darüber bewusst, wo die Grenzen ihres Engagements liegen. Natürlich würde sie lieber Wildkatzen in die Freiheit entlassen und geschützte ‚natürliche‘ Reviere für ihre Katzen finden, ohne Käfige. Was Baskin von Exotic, Antle und den anderen unterscheidet, ist, dass sie nicht zum Unterhalt ihrer Tiere Löwen und Tiger züchtet, um die Babies dann zu verkaufen oder für Streicheln und Fotos an die Zoobesucher*innen freizugeben.
Exotics Hass auf Carole Baskin fing damit an, dass sie ihn sabortierte. Baskin setzt sich gegen sogenanntes „Cub Breeding“ und „Cub Petting“ ein. (Cubs sind Löwen- und Tigerbabies. Mit Breeding ist Züchten gemeint, mit Petting, Streicheln) Dadurch, dass die süßen Babies zur Schau gestellt werden und das Publikum sie streicheln und knuddeln darf (gegen Geld versteht sich), wird die Nachfrage nach den Babies erhöht. Sowohl bei Privatleuten als auch bei solchen, die Tiger-Streicheln anbieten. Baskin hat viele Argumente gegen diese Praxis, zum Beispiel, dass die Babies schon viel zu früh ihren Müttern entrissen werden. Als sie erfuhr, dass Joe Exotic eine Tour durch US-amerikanische Einkaufszentren machen wollte, um dort Cub-Petting gegen Geld anzubieten, rief sie im Internet dazu auf, die Betreiber der Einkaufszentren über die moralischen Aspekte zu informieren. In der Hoffnung, dass die Malls mit dieser Aufklärung Joe Exotic eine Absage zu erteilen.
Backlash gegen (weiblichen) Aktivismus
Das ist meines Erachtens Aktivismus. Eine Aktivistin informiert über die Gefahren und negativen Aspekte einer umstrittenen Praxis. Im besten Fall soll es so zu einem Boykott und nachfolgend zu einem Unterlassen dieser Praxis kommen. Sie hat niemanden bedroht oder bestochen. Es wurden sachliche Argumente hervorgebracht, die Einkaufszentren entschieden trotzdem frei, ob sie Joe Exotic einladen wollten oder nicht. Carole Baskin erfuhr für diesen Aktivismus eine krasse Gegenreaktion von Joe Exotic, die viele Jahre anhielt. Joe Exotic blieb keineswegs auf einer sachlichen Ebene. In unzähligen YouTube-Videos rief er dazu auf, Baskin zu vergewaltigen. Er drohte ihr mehrmals offen in diesen Videos und schoss auf sexualisierte Gummipuppen, die er Baskin nannte. Er setzte das Gerücht in die Welt, sie sei machthungrig, behandle ihre Tiere schlecht und hätte ihren Ex-Ehemann umgebracht: Kurz er eröffnete eine regelrechte Hexenjagd.
Backlash – krasse Gegenreaktionen oder Strömungen – gegen Aktivismus gibt es sehr häufig und vor allem auch gegen feministische Aktionen oder „den Feminismus“ an sich. Auch hier kommt es sehr häufig vor, dass eine sachliche Diskussionsgrundlage verweigert und ausgehebelt wird, indem man einfach die Frau*, die Frauen* oder die FeministInnen verteufelt. Man erfindet an den Haaren herbeigezogene Vorwürfe, um eine Person oder Personengruppe in Zweifel zu ziehen. Zum Beispiel, indem behauptet wird, Feminst_innen seien „untervögelte Männerhasser“ oder hätten Machtfantasien. Die Glaubwürdigkeit und die Argumentationsschlagkraft der AktivistInnen leidet darunter, obwohl die sachlichen Argumente nie entkräftet wurden.
Bei der Frage, ob Cub-Petting verboten werden sollte, spielt es keine Rolle, ob Carole Baskin verrückt ist oder nicht. Auch nicht, ob sie ihren Ehemann umgebracht hat oder nicht und letzenendes auch nicht, ob sie früher einmal selbst Cub-Breeding betrieben hat. All diese Vorwürfe lenken nur vom eigentlichen Problem ab.
Die Intrigantin
Carole Baskin möchte Joe Exotic schlagen, das ist richtig. Sie möchte, dass er seinen Zoo schließen muss und dass keine Wildtiere mehr in Gefangenschaft bei Privatleuten in den USA mehr geboren werden, sprich, dass Wildtierhandel ein Ende hat. Dafür wendet sie legale und aktivistische Strategien an. Joe Exotic möchte Carole Baskin als Person schaden und ist bereit, die Grenze der Legalität zu überschreiten. Joe Exotic droht Carole Baskin im wahrsten Sinne des Wortes mit den Fäusten. Er ist eben ein echter Mann, der Konflikte direkt und “mit den Fäusten” austrägt.
Dass Carole Baskin darauf nicht eingeht, sondern Rechtsmittel einlegt, ist raffiniert. Aber es kann auch schnell umgedeutet werden als “hinterfotzig”. Zum Beispiel kaufte Carole Baskin die Copy Rights an Bildern, die Joe Exotic benutzte, um seinen Hass gegen sie zu verbreiten und sie zu bedrohen. Nachdem Carole die Copy Rights erworben hatte, verklagte sie Exotic wegen Copy Right Infringement und gewann. Auch das ist eine Tradition: Frauen gelten als hintenrum gemein. Sie sind die Giftmörderinnen, während Männer ihre Kämpfe mit Schwertern austragen. Ehrlich eben. Haha. (Mehr zu Legalität und Rechtsstreitigkeiten zu Tiger King in diesem amüsanten You-Tube-Video (englisch).)
Die Crazy Old Cat Lady
Es ist wirklich faszinierend zu sehen, wie die Serie es schafft, Sympathien zu lenken. Joe Exotic ist bis zuletzt trotz all seiner dubiosen Machenschaften Sympathieträger. Er ist lieb-trottelig, sagt alles mit einem Augenzwinkern, bezeichnet sich selbst als Redneck. Er und auch die anderen Männer der Serie werden nach dem Motto “Boys will be boys” behandelt. Ihr Verhalten mag kindisch sein, auch durchaus problematisch, aber da kann man eben nichts machen.
Carole Baskin dagegen wird durch die Dramaturgie der Serie und filmische Mittel, etwa geschickte Schnitte, so inszeniert, dass man sie für ziemlich exzentrisch halten muss. Sie ist die Crazy Old Cat Lady, die alte, schrullige Katzendame. Nichts an ihr ist cool. Eingeführt wird sie, vor ihrem ausladenden begehbaren Kleiderschrank, in dem nur Klamotten mit schrillen Tiermustern zu finden sind: Hauptsächlich natürlich Tiger- und Leopardenprints - in allen Farben. Carole Baskin lacht über sich selbst. Sie weiß, dass es eine Marotte ist, setzt es aber auch als Strategie ein. Wenn sie beispielsweise Politiker*innen trifft. Sie sagt: So können sich alle an mich erinnern.
Das könnte funktionieren, wenn nicht Lepardenmuster in der Damenmode für etwas Animalisches stehen würde. Es steht im Zusammenhang mit weiblichem Begehren, weiblicher Sexualität, man denke zum Beispiel an “Cougars”. Gegen freizügige weibliche Sexualität gibt es immer noch backlash, immer noch Misstrauen. Im Hass auf Basken steckt auch Ablehnung weiblicher Lust.
Auch Joe Exotic ist exzentrisch. Seine selbstgewählten Namen – Exotic und das eponymische Tiger King – spielen darauf an. Auch er trägt schrullige Klamotten, er wird eingeführt, wie er mit dem Kamerateam über seine Vokuhilafrisur lacht und überlegt, ob er seine Baseballcap lieber an oder ausziehen sollte. Für ihn spielt Inszenierung eine noch größere Rolle als für Carole Baskin. Es wird beispielsweise thematisiert, dass er sehr viel Elan hatte, als er mit rotem Umhang auf einem Thron posieren sollte. Hier nimmt man ihm die größenwahnsinnige Königsfantasie ab.
Carole Baskins Machtfantasien und Exzentrikertum – abgesehen von ihren Outfits – entspringen aber hauptsächlich der Fantasie von Joe Exotic. Baskin wird immer wieder gezeigt, wie sie auf einer Art Golf-Buggie durch ihren Zoo fährt, das Kinn vielleicht einen Ticken zu hoch gereckt. Sieht total albern aus, aber ehrlich gesagt, wer würde nicht albern aussehen, wenn er für ein Kamerateam auf so einem Gefährt sitzen müsste? Dieses Motiv von Baskin wird immer und immer wieder wiederholt. Beispielsweise wenn darüber gemutmaßt wird, ob sie ihren Ex-Ehemann an die Löwen verfüttert hat.
Eines der sich wiederholenden Bilder von Joe Exotic ist, wie er an einem Teich Sachen in die Luft sprengt. Joe Exotic ist der coole Exzentriker. Der Humorvolle. Auch er nimmt sich selbst nicht ganz ernst, sagt scherzend über sich selbst „I’m a gay white-trash redneck“. Er ist neidisch darauf, dass Carole Baskin in den sozialen Medien eine riesige Anhängerschaft aufgebaut hat.
Carole Baskin kommt als katzen-besessene, männermördende Spielverderberin rüber. Diejenige, die selbst keinen Deut besser ist, aber den Männern ihren Spaß nicht gönnt. Die Heuchlerin. Joe Exotic hingegen wirkt lässig, dabei ist eigentlich er besessen. Besessen von Carole Baskin.
Anmerkung 1: In der Serie wird Saff, ein Mitarbeiter von Joe Exotic fälschlicherweise als Frau bezeichnet und mit sie-Pronomen betitelt, obwohl Saff als Mann lebt.