Vertraut auf eure Fähigkeiten - Interview mit Producerin Christine Duttlinger

Vertraut auf eure Fähigkeiten - Interview mit Producerin Christine Duttlinger

Christine Duttlinger studiert an der Filmakademie Baden-Württemberg Filmproduktion und hat bei verschiedenen Kurzfilmen mitgewirkt. Dieses Jahr war sie eine von drei Producer*innen, die den studentischen Kurzfilm Masel Tov Cocktail produziert haben. In dem Film erzählen die Regisseure Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch den Alltag eines jungen deutschen Juden mit fiktionalen und dokumentarischen Elementen und viel Humor. Der Film hat bereits mehrere Preise abgeräumt, unter anderem den Max-Ophüls-Publikumspreis und den CIVIS: Medienpreis für Integration und kulturelle Vielfalt in Europa. Wir sprechen mit Christine Duttlinger über ihre Arbeit als Producerin, den Film Masel Tov Cocktail und Frauen in der deutschen Filmlandschaft.

(c) Arkadij Khaet

(c) Arkadij Khaet

Christine, könntest du dich kurz vorstellen?

Gerne! Mein Name ist Christine Duttlinger und ich studiere im letzten Jahr Filmproduktion in Ludwigsburg. Davor habe ich einen Bachelor im Fach Szenische Künste an der Universität Hildesheim gemacht. Ansonsten gehe ich gerne ins Theater, lese viel und klar, gehe gerne ins Kino.

Was macht dir am meisten Spaß an deinem Job, was treibt dich an?

Schwierig zu sagen, da mir tatsächlich sehr viel Spaß an meiner Arbeit macht, aber ich versuche es mal: Ich finde es aufregend, dass man am Anfang nur eine kleine Idee hat, eine klitzekleine Vision davon, wie der nächste Film aussehen kann. Bei den ersten Treffen sitzen meist auch nur Producer*in, Drehbuchautor*in und Regisseur*in zusammen. Und Monate – bei größeren Projekten – sogar Jahre später, steht man dann mit 40 Personen oder mehr am Set, die Figuren sind keine Textflächen mehr, sondern lebendige Wesen und die Idee ist wirklich eine Geschichte geworden. Ich mag die Spannung und Aufregung gemeinsam in einem Team solche Ideen zu verwirklichen und im besten Falle Geschichten zu erzählen, die Menschen bewegen.

Wie suchst du dir Projekte aus?

Ich produziere gerne Filme, die unterhalten, aber trotzdem ernsthafte Themen vermitteln. Darüber hinaus ist mir wichtig, dass in Filmen die Diversität der Gesellschaft wiedergespiegelt wird. Ich selbst merke, dass mich Serien wie Pose, die von der Lebensrealität der Ballroom-Szene im New York der 80iger Jahre spielen, selber unglaublich catchen. Besonders beeindruckt hat mich die diverse Besetzung: fünf trans* Frauen spielen mit, daneben auch noch etliche weitere queere Schauspieler*innen, die allesamt wahnsinnig gut spielen. Pose ist ein sehr herausragendes Beispiel, das zeigt, wie Serien einen gut unterhalten, aber trotzdem andere Lebensrealitäten nahebringen können. Und mir gefallen vor allem Projekte gut, die sich nicht einfach an Geschichten von anderen Gruppen bedienen, sondern wirklich gut recherchiert sind und mit den betreffenden Personen(gruppen) gemacht werden, um die es geht. Pose war eine hochbudgetierte Serie von Netflix, dagegen bin ich noch sehr am Anfang: ich habe bis jetzt nur Kurzfilme produziert, hoffe aber sehr, dass sich diese Gedanken auch in meinen Filmen widerspiegeln.

(c) Arkadij Khaet

(c) Arkadij Khaet

Wie bist du zum Projekt Masel Tov Cocktail gekommen?

Ich habe im Sommer 2016, kurz bevor ich mein Studium an der Filmakademie begonnen hatte, den Desintegrationskongress am Maxim-Gorki-Theater besucht. Unter der Leitung von Max Czollek und Sascha Marianna Salzmann gab es damals verschiedene Performances, Gesprächsreihen und Theatertücke, in welchen zeitgenössische jüdische Positionen verhandelt wurden. Und mir ist damals beschämt aufgefallen, dass ich über jüdische Lebensrealitäten in Deutschland eigentlich so gut wie gar nichts weiß, außer ein paar stereotype Sätze, die in meinem Kopf rumspukten. Und das wollte ich ändern: als Arkadij mir erzählte, dass er in seinem nächsten Film von seinen Erfahrungen als in Deutschland lebender Jude erzählen will, war ich sofort dabei.

Was zeichnet den Film für dich aus?

Puh, immer schwierig solche Fragen über die eigenen Filme zu beantworten. Wir haben auf jeden Fall sehr viele Nachrichten von Zuschauer*innen bekommen, die gesagt haben, dass sie durch den Film sehr zum Nachdenken angeregt wurden und/oder sich sehr verstanden gefühlt haben und es toll fanden, dass diese Perspektive gezeigt wurde. Also, mich freut es auf jeden Fall sehr, dass der Film wohl ein paar Menschen erreicht hat.

Wo siehst du feministischen Handlungsbedarf in der deutschen Filmbranche?

Ums mal einfach zu formulieren: überall – vor und hinter der Kamera. In diesem Bereich hat, neben anderen tollen Akteur*innen wie zum Beispiel der Verein ProQuote, Maria Furtwängler sehr viel beeindruckende Arbeit geleistet: gemeinsam, mit der von ihr gegründeten MaLisaStiftung, dem ZDF, der Film- und Medienstiftung NRW und der Uni Rostock haben sie erst vor einer Woche eine neue Studie vorgestellt: demnach sind in den kreativen Teams von Streaming-Angeboten, vor allem Männer tätig. 78 Prozent des Contents wird von einer männlichen Regie inszeniert, 90 Prozent von KameraMÄNNERN gefilmt. Und auch vor der Kamera sieht es nicht anders aus: 65,2 Prozent der zentralen Rollen im Streaming-Angebot wird von Männern besetzt. Die Zahlen sprechen für sich – das muss sich ändern.

Würdest du jüngeren Frauen empfehlen, Filmproduktion zu studieren? Was würdest du heute anders machen?

Wenn man an Filmen und Serien interessiert ist, würde ich das auf jeden Fall empfehlen. Und es gibt viele tolle Persönlichkeiten in der Filmindustrie, die sehr dafür kämpfen, dass es ein geschlechtergerechtes und diverseres Umfeld wird. Und was ich auf jeden Fall allen Frauen empfehlen würde: vertraut auf eure Fähigkeiten und fordert dafür das gleiche Gehalt wie eure männlichen, weißen Kollegen.


Den Film Masel Tov Cocktail könnt ihr in der Arte Mediathek streamen.

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