Steile These: Sex-Add-ons

Steile These: Sex-Add-ons

In der Rubrik Steile These stellen wir Alltagsbeobachtungen vor, die uns beschäftigen. Daraus leiten wir eine Behauptung ab, die polarisieren kann und soll. Um es noch spannender zu machen, laden wir nach Zufallsprinzip zwei Crew-Members von wepsert dazu ein, dann entweder dafür oder dagegen zu argumentieren.

Toys und Accessoires, spezielle Outfits und der komplette Chichi, den der Markt an Veranstaltungen, Events und Messen anbietet, das ist einfach nur eine fiese Verproduktifizierung von Sex für den gelangweilten Konsumenten. Ein vollkommen falscher Ansatz, eine kapitalistische Leimrute. Guter Sex, sagt man schließlich, spielt sich im Kopf ab, und dazu braucht man nicht shoppen gehen! Ob man nun im Leder-Harness unterwegs ist ins Berghain, sich mit strappy Somethings aus dem H&M eindeckt oder ohne Sexspielzeug in der Handtasche nicht mehr aus dem Haus geht - viel wichtiger wäre es, an der eigenen Sensibilität und Sinnlichkeit, mit dem eigenen Körper zu arbeiten. Anstelle sich Add-ons zu kaufen, müssen wir uns auf die Basis-Situation besinnen. Lasst euch den Sex nicht monetarisieren! Weder das exotische Setting, die fabelhafte Produktwelt noch die Jagd auf ständige Neuigkeiten können es ersetzen, sich intensiv und ganzheitlich mit dem Gegenüber auseinanderzusetzen und im Austausch mit einer anderen Person lustvolle Tiefgründigkeit zu fühlen. Dafür muss man sich einlassen und loslassen können. 

Nur Intimität sorgt für guten Sex, der Rest ist Konsum.

Für die Pro-Seite hat diesmal Rebecca Faber argumentiert, die Kontra-Seite wurde von Alisha Gamisch bestritten. Die Argumentation spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Autorinnen wider.


PRO

Intimität kommt vom lateinischen Wort intimus und bedeutet soviel wie der innerste, der vertrauteste, der geheimste Raum oder Teil. Intimität beschreibt also den Zustand tiefster Vertrautheit - und auch gleichzeitig einen Zustand von Exklusivität. Die Intimsphäre ist ein Raum, in dem Außenstehende, die Außenwelt, keinen Zutritt erhalten.
Wenn wir Sex-Toys benutzen, lassen wir aber Fremde in unser Bett. Schließlich handelt es sich um Produkte, die von Anderen designt, entworfen und hergesetllt wurden. Von Firmen, denen es gerade nicht um Exklusivität, um Individualität, um intime Vorlieben geht, sondern darum, ein Produkt so zu entwerfen, dass es sich an alle Körper anpasst und an die breite Masse verkauft. Wer  Sex-Spielzeuge konsumiert, lässt seine Lust von Angebot und Nachfrage bestimmen.  Von dem, was der Markt vorgibt, anstatt von dem, was einem vielleicht eigentlich Lust bereitet. Und das ist natürlich absolut okay, aber vielleicht verlernen wir so, unser persönlichstes Inneres, unser eigenes Intimleben zu erforschen. Die Gefahr besteht, dass wir verlernen subtilere Reize wahrzunehmen, Reize, die uns nur ganz individuell reizen, aber für den Massenmarkt vielleicht nichts hergeben.
Und werden wir nicht faul und stumpf, wenn wir auch diese Arbeit an Maschinen abgeben, an den Testsieger Vibrator mit Geld-Zurück-Garantie, wenn man nicht innerhalb von zwei Minuten zum Orgasmus kommt?
Der Kapitalismus bestimmt unser Leben auf allen Ebenen und mehr und mehr greift er auch in unser Sexleben ein. Ist es feministisch, geht es wirklich um die Frau*, um weibliche* Lust, dass es neue Air-Pulse-Technologien gibt oder ist die männliche* Kaufkraft für Sexprodukte so ausgeschöpft, dass der Markt, um weiterzuwachsen, jetzt auch an Frauen* verkaufen muss?
Wenn wir Dinge konsumieren, müssen wir uns einfach darüber bewusst sein, dass wir etwas kaufen, was außerhalb unser selbst liegt, außerhalb unseres Intimbereiches. Ob und wie wir diese Produkte kaufen und nutzen wollen, bleibt natürlich jedem*/jeder* selbst überlassen.

- Rebecca Faber

KONTRA

Das Problem ist der Gesamtheitsanspruch, den diese These stellt. Nur Intimität sorgt für guten Sex? Wer sagt, dass Sex-Toys nicht zur Intimität dazugehören können? Ja, ich stimme zu: Wir setzen uns zu wenig WIRKLICH mit Sexualität auseinander. Wir haben wenige Räume, in denen wir offen über Sexualität sprechen können. Selbst viele langjährige Partner*innen, die sonst so gut wie alles über einander wissen, werden plötzlich stumm, wenn es um Sex geht. Und wenn es um Sex geht, geht es ja auch immer um ganz viel anderes: unsere Befindlichkeiten, Schwächen und Unsicherheiten, unsere Sehnsüchte, Scham, wie wir sozialisiert wurden, unsere Vorlieben, unsere No-Gos, unsere Persönlichkeit und unser Auftreten. Sex-Shops bieten für viele Menschen einen halbwegs gesellschaftlich anerkannten Raum, in dem sie die Möglichkeit haben, über Sex zu sprechen und Wünsche zu äußern. Ja klar, erstmal in Form von Toys, materiellen Manifestationen von sexuellen Sehnsüchten. Verklemmte Menschen können so vielleicht einen ersten Schritt in Richtung Kommunikation machen, auf sicherem Terrain, einem, das sie schon aus anderen Bereichen kennen: dem Konsum. Statt ‚Liebling, was willst du heute essen?‘ wird plötzlich gefragt: ‚Und welches Toy spricht dich hier so an? Und warum (nicht)?‘ und idealerweise steigt im Austausch darüber das Bewusstsein über die Bedürfnisse des*der anderen, ein Schritt in Richtung mehr konsensuelle, bewusste Sexualität. Singles haben die Möglichkeit auch ohne Partner*in sexuell unabhängig zu sein. Ganz zu schweigen von behinderten Personen, nicht-binären Menschen und Transpersonen, für die Sex-Toys teilweise essentiell sein können. Klar, sind das Produkte, aber wie bei allem, was wir kaufen können, kommt es ja drauf an: wo, wie viel und mit welcher Intention. Es gibt zum Beispiel tolle feministische, nicht-heteronormative, ökologisch nachhaltige und fair produzierende Sex-Shops. Gerade hat ein neuer in Hamburg aufgemacht. Doof ist, dass die relativ teuer sind. Doof ist, dass da Menschen mit geringem oder keinem Einkommen ausgeschlossen werden. Aber wer sagt eigentlich, dass Sex-Toys unbedingt gekauft werden müssen? DIY geht auch ;) Das heißt nicht, dass Sex-Toys die Lösung für alles sind und wir blind drauf los basteln und kaufen können und denken, das löse all unsere sexuellen und sozialen Probleme. Denn bei Sex geht es ja nicht nur um den Körper, sondern auch um den Kopf. Aber sie machen Möglichkeits- und Kommunikationsräume auf. Und das ist grundsätzlich mal gut.

- Alisha Gamisch

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