Songs & Schnack: Piss Factory
Zu heiß auf der Arbeit und die Freiheit wartet draußen! Abkotzen über ausbeuterische Scheißjobs und komische Kolleginnen, unerträgliche Hitze, unbändige Lust und der Traum von der großen Freiheit in New York - alles in einem Song. Hört rein und schwärmt mit!
Frauen in Fabriken, das ist ein feministisches Thema, das schon so lange vom Tisch zu sein scheint, im Orkus verschwunden wie die einst im Fokus linker Bestrebungen stehende Arbeiterklasse. Was ist die Arbeiterklasse heute? Der böse Fabrikbesitzer, der halb-böse Kapo und die gute Gewerkschaft, das sind für jüngere Generationen vielleicht anachronistisch gewordene Figuren, die wie das Kasperl und das Krokodil durch Erinnerungen an linke Kindermedien oder Erzählungen der Altvorderen geistern. Die Fließbandarbeit ist global outgesourct, die in den Fabriken Akkordschaffenden werden flankiert von zahlreichen anderen Ausgebeuteten in anderen Branchen, sagen wir mal Leiharbeitsfirmen oder Pflegebereich.
In Patti Smiths Song Piss Factory sind wir zurück in der Fabrik der 60er-Jahre in den ländlichen USA. Mit 16 brach das Illinoiser Mädel Patti die Schule ab und fing an, in der Fabrik zu arbeiten. Das war 1962, und ihre Lyrics beginnen wie eine Biografie.
Heimarbeit und Fabrikarbeit sind die ersten Felder, in denen Frauen seit Beginn des 20. Jahrhunderts und der ersten Welle der Frauenbewegung arbeiten. Das sollte lange so bleiben. Auch 1962 findet die 16-jährige Patti nur Frauen in der Fabrik vor. Moralisch ist Klein-Patti, fleißig, arbeitet viel zu schnell und gerät deswegen sofort in Clinch mit den älteren Fabrikarbeiterinnen.
Es ist hinreißend mitzuerleben, wie Smith in Piss Factory in einer Art Proto-Rap über ihre Sehnsucht, Pissfabrik und Provinz zu verlassen berichtet, über ihre Sehnsucht nach Jungs und nach Lust, Leben und Freiheit im Allgemeinen. Ungeschliffene struppige Sexualität, Ambivalenz im Genderausdruck und eine winzige Prise Misogynie oder weiblicher Selbsthass - was ist es? You tell me! - kann man häufiger in Patti Smiths Songtexten finden, aber in keinem wird die Stimmung einer überhitzten, pappigen Scheißmaloche virtuoser mit der Aussicht auf den großen Freiheitsschlag, Abhauen nach fucking New York kontrastiert.
Man muss Smith mit diesen Lyrics lieben: teenagerhafte Grandiositätsgedanken, wissen, dass man zu etwas Größerem bestimmt ist, Trotz und Aggression gegenüber den alten fürchterlichen Weibern, die „too damn grateful“ sind und die Ansage, lieber zu den Jungs (gehören) zu wollen. Und eine weibliche Libido, die einen in ihrem sinnlichen Ausdruck einfach wegfegt: Schuljungs und der aufregende Geruch ihrer Schwänze - we're talking 1974, das ist schon bemerkenswert explizit und poetisch!
Es wirkt kraftspendend, wie Smith hier eine Sache mal klarstellt: Nur, weil man in einem rein weiblichen Umfeld ist, ist mal gar nichts besser. Solidarität und Verständnis herrschen nicht automatisch, wenn der Östrogenspiegel steigt. Wer ein Arsch ist, ist ein Arsch, unabhängig vom Gender. Im Gegenteil: gleich dreifach (Frau, alt, arm) diskriminiert, fallen sich die Weiber noch gegenseitig an.
Patti zeigt sich hier aber auch ihrerseits unsolidarisch und konkurrenzig, versaut den Kolleginnen die Produktionsquote, ist arrogant und egoistisch, hält sich für was Besseres. Das ist an dieser 16-Jährigen Patti 1962 ein klein wenig charmant und aus dem Ad-hoc-Songwriting auch mit Augenzwinkern zu verstehen. Es zeigt aber zugleich, dass neben der wichtigen Zielsetzung, gesellschaftlich alle mitzunehmen, integrativ und empowernd zu sein, nicht vergessen werden darf, sich nach vorne zu orientieren - mit Role Models unabhängig vom traditionell vorgesehenen Gender. Die wichtigste Person im eigenen Leben ist man schließlich selbst, und eine Prise Smith'scher Größenfantasien kann nie schaden, um über sich selbst hinauszuwachsen.
Denkt das nächste Mal dran, wenn die Schicht nicht enden will.