Das prämenstruelle Syndrom
Alle Monate wieder: Körpergefühl wie ein Quallen-Dampfnudel-Hybrid, die Brüste verwandeln sich in Mimosen, erst will man sterben, dann doch lieber Schluss machen. Unkontrollierbare Rolligkeit wechselt sich mit Fressflashs ab, Tränchen kullern angesichts von Merci-Werbung oder Welpen. Die Umwelt erzittert unter Wutanfällen, für die sich Joan Crawford nicht schämen müsste. Wir reden von PMS, dem prämenstruellen Syndrom.
Die Tage vor den Tagen heißen sie im Werbesprech verklemmt. Unter das prämenstruelle Syndrom sind Beschwerden versammelt, die viele Frauen mit Gebärmutter vor dem Einsetzen ihrer Regelblutung fühlen. Die Symptome, 150 an der Zahl, reichen von Schwellungen und Rückenschmerzen über Heißhunger und Migräne bis hin zu depressiven Stimmungen und Aggresivität.
Laut einer us-amerikanischen Studie von 2011 sind 20 bis 30 Prozent der Frauen (vor ihrer Menopause) betroffen. Von der Prämenstruelle Dysphorischen Störung, einer insbesondere die Gemütsverfassung betreffende starke Ausprägung von PMS, sind drei bis acht Prozent betroffen. (1) Etwas ältere Zahlen (veröfentlicht 1990) zählen 40 bis 60 Prozent aller Frauen, die psychische und körperliche Beschwerden in der zweiten Zyklushälfte beschreiben. Etwa zwei bis drei Prozent aller Frauen im geschlechtsreifen Alter leiden unter ausgeprägtem PMS, das Arbeitsunfähigkeit bedingen kann. (2) Zum Vergleich: Krankenkassen schätzen, dass 8,9 Prozent der Gesamtbevölkerung an Diabetes erkrankt sind.
Hormonelle Player
Zwei weibliche Hormone sollte man kennen: 1. Östrogene und 2. Gestagene, die im Zyklus, hier ganz stark vereinfacht erklärt, eine Rolle spielen. Während der ersten Hälfte des Zyklus ist Östrogen am Zug, das auch rund um den Eisprung für stärkere sexuelle Lust sorgt; nach dem Eisprung ist das Gestagen dran.
Östrogene: das Gleiche wie Estragene, durch diese Sexualhormone reift die befruchtungsfähige Eizelle, weibliche Merkmale wie Brüste werden ausgebildet. Östradiol, ein Östrogen, wird auch Mann-zu-Frau-Transmenschen verabreicht.
Gestagene: Gelbkörperhormone, sie bereiten die Gebärmutterschleimhaut auf die Einnistung der (befruchteten) Eizelle vor. Gestagenpillen (Minipille) nimmt man bspw. für Langzyklen ein.
Übrigens: Wenn ihr hormonell verhütet, (noch) keine Regel oder keine mehr habt, euer Zyklus gestört ist, läuft das anders ab. Unter Pilleneinnahme bspw. habt ihr gar keinen Eisprung, deswegen heißen sie auch Ovulationshemmer.
Die genaue Ursache für PMS ist bis heute unbekannt. In der zweiten Zyklushälfte, also nach dem Einsprung und vor dem Einsetzen der Blutung, wird das Gelbkörperhormon Progesteron (eines der Gestagene) produziert, während gleichzeitig das Östrogen abfällt. Dies sorgt für unangenehme Wassereinlagerungen. Vor allem die starken natürlichen Schwankungen des Hormonspiegels innerhalb des Zyklus, aber auch kurz vor der Menopause könnten PMS verursachen, im Umgang damit seien Frauen einfach unterschiedlich empfindlich.
Was tun? Neben pauschalen Tipps zur gesunden Ernährung und Fitness, was freilich nie schaden kann, sollen pflanzliche Präperate aus Mönchspfeffer helfen. Und Antidepressiva. In der Konsequenz heißt das, wenn's hart auf hart kommt, den ganzen Monat Psychopharmaka schlucken, für einmal im Monat PMS. Das kann doch auch nicht die Lösung sein!
Die Pille und PMS
Gegen PMS wurde und wird gerne die Pille verschrieben. Anti-Baby-Pillen gibt es in unterschiedlichen Hormonzusammensetzungen, die unterschiedlich auf der Körper einwirken. Die Pille kann sich auf die Gemütsverfassung auswirken, was neben anderen Faktoren zu ihrem sehr schlechten Ruf in letzter Zeit beigetragen hat. Den Schaden und Nutzen der Pille auszuführen, würde hier zu weit führen, deswegen zwei Links: Kritik an der Pille von Yael Adler/FAZ; Bedeutung der Pille für zwei Generationen in der Zeit.
Wie ihr ja wisst, wird der natürliche Zyklus bei der Einnahme der Pille ausgeschaltet. (Der Einfachkeit halber im Folgenden zur Pille, das gilt für andere Formen der Hormongabe ähnlich.) Dem Körper wird eine Schwangerschaft vorgegaukelt, die Blutung, die in der Pillenpause auftritt, ist eine Entzugsblutung, die durch den Wegfall der regelmäßig eingenommenen Hormone einsetzt. Nur in der Pillenpause tritt die Blutung ein, weswegen manche Frauen Drei-, oder mehr Monats-Phasen mit kurzen Pausen machen oder die Pille non-stop nehmen und gar nicht bluten. Das ist eine Frage der persönlichen Präferenz, der kulturellen Prägung, außerdem kann es medizinische Indikationen (z.B. Endometriose) geben.
Fest steht allerdings, dass es keine Notwendigkeit gibt, die Gebärmutter und Vagina mittels einer Blutung zu reinigen. Diese u.a. von Margaret Profet vertretene Meinung ist großer Quatsch. Im Gegenteil: Reinheitswahn unter Frauen, insbesondere was ihre Vagina betrifft, schadet in der Regel mehr, als es nutzt. Aber natürlich ist es nachvollziehbar, dass das regelmäßige Bluten ein gesundes, weibliches Gefühl gibt, wenn frau es mag.
Exkurs Scheidenspülungen: Nach einer Studie der University of Rochester führen 27 Prozent der us-amerikanischen Frauen zwischen 15 und 44 Jahren regelmäßig Scheidenspülungen (Douches, daher auch das Schimpfwort Douchebag) durch, davon besonders viele afro-amerikanische Frauen, die infolgedessen häufiger bakterielle Scheidenentzündungen haben. Scheidenspülungen sind nicht zur Verhütung geeignet und stören die gesunde Flora.
PMS sollte bei allen, die die Pille einnehmen, keine Gebärmutter haben, Langzyklus betreiben oder schon nach ihrer Menopause sind, laut den Medizinern nicht mehr auftreten. Wenn die Symptome trotzdem auftreten, lohnt es sich, sowohl privat als auch wissenschaftlich genauer hinzuschauen. Was ist denn da los?
PMS und Feminismus
Frauentypische Beschwerden stehen in einer langen Geschichte der Bagatellisierung und mystisch-esoterischen Verschwurbelung. Seelisches wird als Körperliches abgetan, Körperliches als Unvermeidliches. Gynäkologen und Wissenschaftler (masculinum hier Absicht) wissen gerne mal besser, was Frau fühlt oder nicht fühlt, davon singen von PMS-Betroffene, Schwangere, Gebärende und Frauen in der Menopause ein Lied. Die Schulmedizin arbeitet zudem am einzelnen Patienten, mit Rezepten für Medikamente, mit Operationen; gesellschaftliche Arbeit, gar eine feministische Agenda, sind nachgeordnet. Man darf sich nicht über die Methoden beklagen, mit denen Abhilfe geschaffen wird, wenn man nur dem Arzt sein Leid klagt. Wichtig ist auch der öffentliche Diskurs (zum Beispiel unter diesem Artikel). Warum dagegen wozu geforscht wird, hat auch marktwirtschaftliche Gründe. Die Pille war nicht nur ein Befreiungsschlag für viele Frauen, endlich die Verhütung selbst und sicher betreiben zu können, sie war auch ein echter Kassenschlager und wurde/wird flächendeckend verschrieben. 21 Tage Pille, sieben Tage Bluten: die kleinen Tabletten schalten den Zyklus gleich. Die Pille ist in den Industrienatioenen seit 1960 das am häufigsten verwendete Mittel zur Verhütung.
Hippokrates erklärte vor rund 2.500 Jahren die Stimmungsschwankungen in Abhängigkeit von der Monatsblutung als Folge eines „verhinderten Abflusses des Menstruationsblutes“. Man war damals aber auch der Meinung, dass die Gebärmutter, wenn sie nicht regelmäßig mit Samen gefüttert wird, im Körper umherschweift und danach sucht. LOL.
Leider war damit noch nicht Schluss mit dem Mansplaining weiblicher* Gesundheit. Noch heute wird PMS gerne mal als Lächerlichkeit abgetan und erfährt keinen großen Stellenwert in der Forschung. Gibt es etwa Berührungsängte? Einem Leiden, das so viele Frauen betrifft, sollte die Medizin schon etwas mehr entgegenzusetzen haben als die Gabe von Hormontabletten, Antidepressiva oder dem gut gemeinten Ratschlag, den Lebenstil zu ändern.
Es ist sehr leicht, das Missbefinden von Frauen, aber auch ihre Wut, ihre Hysterie auf Hormone oder andere körperliche Ursachen zurückzuführen. Und freilich ist es auch bei der weiblichen* Selbstbeobachtung und -erklärung einfacher, schlechte Gefühle auf rein Körperliches zurückzuführen. Wäre ja verrückt sonst.
Was sagt die Schulmedizin? Nachdem die Frauen seit Jahrzehnten auf den Rhythmus drei Wochen Pille, eine Woche Menstruation eingestellt wurden, dämmerte es den Doctores, dass vielleicht ausgerechnet die Pillenpause, also das Entziehen der künstlich zugeführten Hormone, verantwortlich für sich als PMS äußerndes Unwohlsein sein könnte. Die neue Lösung: noch mehr Pillen schlucken! Die Patientinnen sollen einfach ohne Pause Tabletten einwerfen, wenn sie PMS plagt.
Was sagen die Feministinnen? Teilweise apodiktisch, aber doch mit vielen interessanten Ansätzen wird PMS von feministischer Seite hier und da als konstruierte Krankheit betrachtet. Unter das Syndrom werden immerhin 150 Symptome gefasst, die Männer oder Frauen nach ihrer Menopause genau so häufig erfahren. Das wirkt tatsächlich verdächtig! Auch eine wackelige, auf einfach ein, zwei Zyklen und einem Einzelgespräch beruhende Diagnose des Syndroms macht die bisherigen Erkläransätze suspekt. Außerdem sind Frauen, die Missbrauch erfahren haben, häufiger von PMS betroffen. (3) Außerhalb der Industriestaaten sei PMS als Syndrom nicht bekannt. Vorsicht: das heißt nicht, dass es von Feminist*innen als „erfundene Krankheit“ angesehen wird, das Leiden ist echt, aber es steckt vielleicht mehr dahinter.
Dass sich Frauen ihren Unmut, ihr seelisches und körperliches Leiden für eine Woche im Monat aufsparen, um es dann kontrolliert herauszulassen, „es geht ja vorüber“, dass sie Beschwerden im Gehorsamkeitsvorschuss verniedlichen, ist nur eine These. Fest steht aber, dass es eine Korrelation zwischen Frauen, die mit ihrer Arbeit, dem Stress und dem Leben insgesamt unzufrieden sind und dem Auftreten von PMS-Symptomen gibt. (3) Aggression und Wut, stellvertretend für negative Emotionen, auszudrücken, wird als unweiblich angesehen. Es ist denkbar, dass Frauen diese unterbewusst wegdrücken, bis sie in den Tagen vor ihrer Menstruation sozialverträglich geäußert oder mit Pillen bekämpft werden können.
PMS als Syndrom einfach festzustellen und medizinisch nur mit schnell geschriebenen Rezepten zu begegnen, ist nicht hilfreich. Den weiblichen Körper und seinen Zyklus als etwas inhärent Unperfektes zu betrachten ist ein bisschen sehr patriarchalisch. Hilfreich und wünschenwert wäre ein breiteres ganzheitliches Forschungsinteresse, dass neben Hormonspiegeln auch weitere Faktoren zu Rate zieht: Warum geht es den Frauen schlecht?
(1) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/22010771
(2) https://www.thieme-connect.de/products/ebooks/pdf/10.1055/b-0033-2526.pdf
(3) https://www.sciencedaily.com/releases/1998/11/981113082005.htm
Abb. Uterus © Nikita Golubev