Feministische Lieblingsorte: Das Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch

Feministische Lieblingsorte: Das Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch

In einem unauffälligen Praxisgebäude in der Nähe des Wiener Westbahnhofs befindet sich das weltweit einzige (!) Museum, das sich ausschließlich der Geschichte von Empfängnisverhütung und Abtreibung widmet. Bei eurem nächsten Wienbesuch solltet ihr euch diese außergewöhnliche medizingeschichtliche Sammlung nicht entgehen lassen!

Mariahilfergürtel 37, erster Stock: Rechts führt eine Tür zum „Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch und Familienplanung“, links geht es zum Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, kurz MUVS. In den hellen Räumen riecht es nach Desinfektionsmittel, hinter dem Schreibtisch der ehrenamtlichen Mitarbeiterin am Empfang hängen Poster mit Verhütungskampagnen: Tatsächlich hat das MUVS eher etwas von einer Arztpraxis als von einem Museum. Was irgendwie gut passt, schließlich geht es hier um Medizingeschichte.

Die 2007 eröffnete Ausstellung basiert auf der Privatsammlung des österreichischen Gynäkologen und Gründers des Museums, Dr. Christian Fiala, der auch die gegenüberliegende Praxis betreibt. Bei dem MUVS handelt es sich um ein rein privates, durch (Sach- und Geld-)Spenden finanziertes Projekt. Auf einer auf zwei Räume begrenzten Fläche wird die gesamte Geschichte von Verhütungsmethoden und Schwangerschaftsabbruch anhand einer liebevoll kuratierten Materialsammlung aus Texten, Bildern, Audio- und Tonaufnahmen und medizinischen Exponaten umfassend dargestellt. Durch die Sammlung führt ein von Dr. Fiala eingesprochener Audioguide. Trotz seiner überschaubaren Größe kann man leicht über zwei Stunden im MUVS verbringen.

Das sagenumwobene Bidet wurde nicht etwa zum Füßewaschen benutzt. Aber auch nicht zur Intimhygiene.

Besonders der erste Raum, der sich der Geschichte der Empfängnisverhütung widmet, gestaltet sich äußerst lehrreich. Er geht weit über das hinaus, was zumindest ich im Sexualkundeunterricht in der 8. Klasse von meiner verschämten Biolehrerin, die jedes Mal rot wurde, wenn sie „Klitoris“ sagen musste, gelernt habe – etwa, wie Frauen Anfang der 1930er-Jahre erstmals dank der Knaus-Ogino Methode ihre fruchtbaren Tage ermitteln konnten oder den wahren Zweck des sagenumwobenen Bidets, das nicht etwa zur Intimhygiene oder „zum Füße waschen“, sondern bis zur Einführung der Pille ursprünglich zur Empfängnisverhütung genutzt wurde. Neben der Entstehungsgeschichte und Wirkungsweise von Kondom, Spirale und Pille werden auch die vielen unwirksamen Verhütungs-„Methoden“ beleuchtet, die über die Jahrhunderte erfolglos eingesetzt wurden, um Schwangerschaften zu verhindern. Auch das Thema Schwangerschaftstest wird angeschnitten. Mein absoluter Favorit hier ist der Froschtest. No joke.

Immerhin: wenn die Polizei vor der Tür stand, war eine Stricknadel in der Hand einer Frau unverdächtig.
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Der zweite Raum erklärt dann verschiedene Aspekte in der Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs – (un-)medizinische Methoden im Laufe der Jahrhunderte, Rechtsprechung, Abtreibungstourismus, Abtreibung in der Literatur. In einer Ecke des Raumes steht eine kleine Küche, typisch für die 50er-Jahre. Über einem abgewetzten Esstisch hängt eine Lampe aus Milchglas, die schwaches Licht auf die zerkratzte Tischplatte wirft. Die Küchentischschublade steht halb offen, darin liegt verbogenes Silberbesteck. Beinah übersieht man die dünnen Stricknadeln aus Metall, die unauffällig zwischen den Messer, Gabeln und Löffeln liegen. Sie allein geben einen Hinweis darauf, was sich in Küchen wie dieser abgespielt haben mag – dilettantische Abtreibungen, die Frauen entweder an sich selbst oder einer anderen durchgeführt haben. Immerhin: wenn die Polizei vor der Tür stand, war eine Stricknadel in der Hand einer Frau unverdächtig.

Der alte Küchentisch mit den Stricknadeln in der Schublade ist das vielleicht eindrucksvollste Exponat der gesamten Ausstellung, weil es brutal verdeutlicht, wo Frauen am Ende landen, wenn ihnen keinen Zugang zu Verhütungsmitteln und sicherem Schwangerschaftsabbruch gewährt wird: auf einem Küchentisch. Mit einer Stricknadel in der Hand. In Lebensgefahr.

In Deutschland haben im Jahr 2017 rund 100.000 Frauen abgetrieben.

Im MUVS geht es vor allem um Medizingeschichte, allerdings ist die Geschichte der medizinischen Kontrolle von Verhütung und Schwangerschaft auch immer mit der Frage verbunden, ob und wie Frauen entsprechend Zugang und Recht auf die Anwendung dieser Kontrollmöglichkeiten haben. Allein die Existenz des MUVS ist ein Politikum: In den meisten Ländern der Welt ist der Schwangerschaftsabbruch – wenn nicht sowieso kriminalisiert – zumindest nach wie vor stark tabuisiert. Ein bekanntes Beispiel aus Deutschland ist das sogenannte „Werbeverbot“, gegen das GynäkologInnen vor Gericht (bisher vergeblich) kämpfen. Und dass, obwohl in Deutschland im Jahr 2017 rund 100.000 Frauen abgetrieben haben.

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Das MUVS leistet einen wichtigen Beitrag zur Enttabuisierung der Kontrolle ungewollter Fruchtbarkeit. Das einzige, was jetzt noch fehlt, ist eine stärkere Verortung der Sammlung im feministischen Diskurs. Die Ausstellung diskutiert die ihr inhärenten Genderfragen nämlich bisher nur indirekt, bzw. überlässt es den Besuchern, die entsprechenden Schlüsse aus dem Gezeigten zu ziehen. Hier könnte das Museum in Zukunft sicher noch mehr leisten. Dennoch: das MUVS ist vielleicht kein perfektes, aber trotzdem unglaublich wichtiges Projekt, bei dem sich ein Besuch auf jeden Fall lohnt.

Übrigens: Wer in nächster Zeit nicht nach Wien kommt, dem sei die Website des Museums ans Herz gelegt: alle Informationen, die dort ausgestellt werden, finden sich dort frei zugänglich im umfangreichen Onlinearchiv.

Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch
Mariahilfergürtel 37
1150 Wien

Öffnungszeiten:
Mi bis So 14:00 - 18:00

alle Fotos © Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch

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