Die Rückkehr der Steinzeit? - In der #metoo-Debatte hat sie nichts zu suchen!
Seit der #metoo-Debatte scheint es wieder beliebt, sich auf Evolutionstheorien zu beziehen.
Eigentlich ist mir das Thema schon lange über. Populärwissenschaftliche Bücher wie: 'Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken können' oder 'Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus' und Shows wie 'Caveman' haben mich sogar schon als von feministischen Theorien noch unbefleckten Teenager zum kotzen gebracht. Ich konnte immer gut einparken, weiß, dass ich sicher nicht von der Venus komme und Jäger und Sammler verknüpfe ich vor allem mit dem feministischen Videoformat . Ich dachte, dass die Praxis, gegenwärtige Verhaltensweisen damit zu erklären, dass wir nun mal als Steinzeitmenschen genau so gelebt hätten, längst als populärwissenschaftliches Gefasel enttarnt wurde. Dass diese Bücher leider immer noch im Umkreis sind, musste ich letztens in der U-Bahn feststellen, als ein älterer Herr mir gegenüber vollkommen vertieft in Allan und Barabara Peases Ekelbestseller 'Warum Männer nicht zuhören...blabla...schnarch' las, überraschenderweise schien er überhaupt nicht gelangweilt davon. Immer wieder bin ich in der letzten Zeit auch im Internet und in Zeitungen auf diese Erklärungsmuster im Bezug auf Geschlecht und Gender gestoßen und zwar nicht nur in reißerischen Popformaten. Besonders seit der #metoo-Debatte scheint es beliebt, sich wieder auf Evolutionstheorien zu beziehen, das jüngste Beispiel ist ein Beitrag in der Süddeutschen von Markus C. Schulte von Drach.
Männer wollen Sex und Frauen wollen einen Mann
Doch auch schon davor waren Ansätze, die versuchen, heutiges Genderverhalten durch Evolution und Gene zu erklären, im Internet populär. Ein besonders schönes Beispiel ist ein Beitrag der ARD von 2009: Da zieht der Forscher über das Sexualverhalten bei Menschen das Fazit:
Männer wollen Sex und Frauen wollen einen Mann: Wie sehr auch moderne Menschen in ihrem Verhalten das alte Erbe mit sich tragen, zeigt ein Experiment. Attraktive Menschen stellten ihrem unbekannten Gegenüber drei Fragen: Wollen wir einen Kaffee trinken? Wollen wir uns bei mir treffen? Wollen wir ins Bett gehen?
Immerhin 56 Prozent der Frauen ließen sich auf die Tasse Kaffee ein, bei den Männern war es die Hälfte. Sich zu Hause treffen wollte kaum eine Frau, das Bett spontan miteinander teilen gar keine, aber 75 (!) Prozent der Männer! Für Harald Euler ist das kein Zufall: „Wenn es um schnellen kostenlosen Sex geht, da sind Männer sehr schnell für zu haben, Frauen sind sehr zurückhaltend, wenn es um unverbindlichen Sex geht.“
An sich ist ja nichts verwerflich daran, sich zu überlegen, wie unsere Geschichte und unsere Biologie unser Verhalten heute noch prägt. Auch unterscheiden sich die Studien in Qualität und Genauigkeit. Aber an diesem Beispiel wird vielleicht deutlich, was ich an der Auslegung und teilweise auch der Umsetzung dieser Studien problematisch finde, und vor allem daran, wie sie in den Medien aufgegriffen werden:
Vereinfachung, falsche Schlussfolgerungen und kein eindeutiger Bezug zur Evolution
1. Vereinfachung. Sätze wie: Männer wollen Sex und Frauen wollen einen Mann, sind einprägsam, catchy und – falsch, aufgrund ihres Gesamtheitsanspruches. Studien beziehen sich erstens immer auf eine mehr oder weniger kleine Testgruppe und zeigen meist Durchschnittswerte an. Das bedeutet nicht, dass alle Männer* Sex wollen und alle Frauen* einen Mann* wollen.
2. Falsche bzw. unhinterfragte Schlussfolgerungen. Die oben genannte Studie zeigt, dass 75% der Männer* bereit waren, sofort mit den Probandinnen* zu schlafen und umgekehrt war keine Probandin* dazu bereit. Warum, wird (zumindest im Artikel) nicht einmal erwähnt. Der männliche Forscher folgert: Männer* sind evolutionsbedingt wild auf unverbindlichen Sex, Frauen* suchen den Mann fürs Leben. Was er nicht in Erwägung zieht, ist zu fragen: Fanden die Frauen* der Testgruppe die männlichen* Probanden vielleicht nicht attraktiv genug (Attraktivität hat ja viele Komponenten)? Inwieweit spielt Sozialisierung eine Rolle, also zum Beispiel die Hemmnis von Frauen* aufgrund der Gefahr einer Stigmatisierung als 'Schlampe' keine positive Antwort auf so eine direkte Frage zu geben? Inwieweit sind Erfahrungen von sexueller Gewalt dafür verantwortlich, dass für sexuelle Begegnungen ein großes Maß an Vertrauen Grundvorraussetzung für viele Frauen* ist?
3. Bezug zur Evolutionstheorie. In diesem Fall fehlt der Relationszusammenhang. Da die Gründe für die Antworten nicht mitbetrachtet werden, kann gar keine Aussage darüber getroffen werden, ob die Antworten evolutionsbedingt sind oder nicht. Der Forscher projiziert letztlich seine Vorannahmen in das Ergebnis hinein. Das einzige, was diese Studie zeigt, ist, dass Frauen* auf eine direkte Frage nach unverbindlichem Sex dazu tendieren, ablehnend zu antworten. Es sagt nichts darüber aus, ob sie grundsätzlich unverbindlichen Sex wünschen und schon gar nichts darüber, inwieweit ihre Biologie oder die Evolution diese Antwort bestimmen.
Problematisch ist die geschlechtsspezifische Voreingenommenheit...
Das bedeutet nicht, dass es nicht interessant und wichtig ist, sich auch biologische Grundlagen für gegendertes Verhalten und Erleben anzusehen und zu erforschen. Unsere Körperlichkeit und als welches Geschlecht wir gelesen werden und/oder uns identifizieren, beeinflusst schließlich unsere Wahrnehmung und unseren Alltag maßgeblich. Problematisch ist aber die geschlechtsspezifische Voreingenommenheit und dadurch teilweise Ungenauigkeit von Forscher*innen, sowie die reißerische Darstellung der Studienergebnisse durch die Medien.
Neurologie und Gender - was wird getestet, was sagt das aus?
Als Alternative zu rein verhaltensanalysierender Forschung kann vor allem die Neurologie Aussagen zu Biologie und Evolution der Geschlechter machen. Eine interessante Zusammenfassung über neurologische Unterschiede bei vorwiegend männlichen*/weiblichen* Körpern macht Heidegard Hilbig im Wissenschaftsmagazin Spektrum. Sie listet aktuelle Tendenzen in männlichen*/weiblichen* Gehirnen auf. So tendieren Frauen* dazu, besser zu sein in optischen Wahrnehmungen, bei denen es auf die Geschwindigkeit, das detailgetreue Erinnerungsvermögen und die Entscheidungsschnelligkeit ankommt, während Männer* tendenziell bessere optische Leistungen bei Suchbildern, z.B. beim Auffinden versteckter geometrischer Figuren erzielen. Laut dem Artikel werden solche Unterschiede maßgeblich von der individuellen Zusammensetzung von Geschlechtshormonen (z.B. Testosteron) erzeugt, die wiederum in allen Körpern vorkommen, aber eben zu unterschiedlichen Graden. Haben Frauen* z.B. höhere Testosteronwerte, ändern sich ihre Leistungen auch. Interessant ist, dass der Artikel (trotz stark binären Formulierungen), vorsichtig darin bleibt, Schlussfolgerungen auf unser tägliches Verhalten zu ziehen. In einem Punkt bleibt er jedoch klar:
Die Aufschlüsselung geschlechtsabhängiger Eigenschaften mit Hilfe neuer Technologien der Hirnforschung steht noch immer weit am Anfang, zudem ist die untersuchte Probandenzahl aufgrund der aufwendigen Methoden vergleichsweise gering. Endgültige Aussagen über die Ursachen sind nach wie vor nicht möglich. Die Vermutung liegt aber nahe, daß Gründe im variierenden Hormonhaushalt (Hormone) der Geschlechter im Verlauf der Entwicklung zu suchen sind. Hormonveränderungen beeinflussen die Leistungen, das Denken und Fühlen beständig. Tests an Frauen zu verschiedenen Zeiten ihres Menstruationszyklus belegten, daß sie während der Phase hohen Östrogenspiegels in Sprachtests am besten abschnitten, die räumlichen Fähigkeiten jedoch nachließen. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern beruhen sicherlich auch auf der geschlechtsrollenabhängigen Sozialisation. Die Plastizität des Gehirns sollte dabei nicht vernachlässigt werden. Bereits durch kurzfristige Übungen wird die Art verändert, in der sich das Gehirn organisiert. Entsprechendes ist auch für langfristige Sozialisationserfahrungen zu erwarten.
Es ist schwierig, die biologischen Einflüsse von der Sozialisation zu trennen.
Die sogenannte Natur-Umwelt-Problematik existiert seit den Anfängen moderner Forschung und bleibt zu großen Teilen noch immer ungelöst. Auch in den Geisteswissenschaften spiegelt sich die Problematik wieder, besonders in Debatten zwischen Essentialismus und Konstruktivismus. Nicht nur im Bezug auf Gender, auch die Frage inwieweit unsere Persönlichkeit, unsere Intelligenz, unsere allgemeinen Verhaltensweisen, von Genen, neurologischen Voraussetzungen und Evolution bestimmt oder eben nicht bestimmt sind, lässt sich eindeutig nicht klären. Das bedeutet nicht, dass es gar keine evolutionsbedingten oder biologischen Einflüsse auf unser Genderverhalten gibt. Es ist nur schwierig, sie von der Sozialisation zu trennen und vor allem, sie für den Alltag auszulegen.
Alles getrieben vom ununterdrückbaren Drang sich fortzupflanzen?
Deshalb überrascht es mich immer wieder mit welcher Vehemenz Evolutionstheorien zur angeblich eindeutigen Erklärung unseres Sexual- bzw. Sozialverhaltens herangezogen werden. Wenn Markus C. Schulte von Drach in seinem Artikel in der Süddeutschen argumentiert, dass wir bei der #metoo Debatte auch biologische Ursachen betrachten müssen, stellt sich schon die Frage, was damit bezweckt wird. Auch wenn er in dem Artikel immer wieder betont, dass die Biologie nicht determinierend ist und wir unser Verhalten selbst beeinflussen können, beruft er sich letztlich auf die These, dass Männer* von Natur aus sexuellere Wesen sind als Frauen* und deshalb dazu tendieren, sich übergriffig zu verhalten. Der Mangel an paarungswilligen Frauen* führt laut seiner Argumentation zwangsläufig dazu, dass manche Männer* sich aufdrängen, um überhaupt Sex bekommen zu können, alles getrieben vom ununterdrückbaren Drang sich fortzupflanzen (der bei Frauen* laut der Theorie offenbar weniger stark ist). Abgesehen davon, dass eben nicht belegbar ist, dass alle Männer* evolutionsbedingt mehr Sex wollen, ist es noch fragwürdiger, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Evolution dafür verantwortlich ist, dass Männer* sich skrupellos und grenzübergreifend verhalten. Ausgeblendet wird in dem Artikel komplett, dass auch Männer* Opfer sexueller Gewalt sind, auf Inter- und Transmenschen wird gar nicht eingegangen. Das passte wohl nicht in die Argumentationslogik.
Die Bilder kennen wir, sie sind uns vertraut, sie machen Sinn.
Mein Verdacht ist, dass hier oft die Sehnsucht nach Altbekanntem eine viel größere Rolle spielt, als echte wissenschaftliche Ergebnisse. Die Bilder kennen wir, sie sind uns vertraut, sie machen Sinn. Der Mann, von Trieben geleitet, schleppt die Frau ab. Erzeugt anscheinend durch eine romantische Sehnsucht nach den guten alten Tagen in der Steinzeit. Diese Sehnsucht können wir auch in der Popkultur beobachten. Filme wie Holy Motors, in dem sich Denis Lavant als unheimlicher Weirdo Eva Mendes über die Schulter wirft und in eine Höhle abschleppt (siehe oben) oder Musikvideos wie das von Gravel Pit (Wu Tang Clan, siehe Video unten), in dem die begehrte Frau einfach mal mit der Keule niedergeschlagen und an den Haaren weggezogen wird, spielen mit diesen Bildern, persiflieren sie, aber normalisieren sie auch. Hier ist der Übergang zwischen schlechtem Humor und Rape Culture gering. Und die Faszination für urzeitliche Lebensweisen bleibt aktuell, erst letztes Jahr kam das Melodram "Der Mann aus dem Eis" mit Jürgen Vogel in die Kinos, das das Leben Ötzis rekonstruiert und zum Spielfilm ausbaut (siehe oben).
Kein Steinzeitmensch sollte als Erklärung herhalten, wenn heute Menschen sexuell belästigt werden.
Die Ursachen für unser Verhalten sind vielfältig. Sich auf die Biologie und Evolution zu fokussieren macht es leicht, bestehende Machtverhältnisse und die Systematik sexistischer Gewalt auszublenden. Selbst wenn alle diese Behauptungen wahr wären, erwiesen ist: Unsere Gene sind flexibel, veränderbar, beeinflussbar durch unser aktuelles Verhalten. Viele Frauen* in meiner Umgebung haben Lust auf unverbindlichen Sex und viele Männer* sehnen sich nach Langzeitbeziehungen. Natürlich gibt es auch viele Frauen* die keine Lust auf unverbindlichen Sex haben und Männer* die sich nichts Schöneres vorstellen können. Durchschnittswerte und reißerische Headlines erzählen aber für unseren Alltag nur die halbe Wahrheit. Die Biologie bei der #metoo-Debatte nicht zu vergessen, wie es der SZ-Artikel fordert, führt letztlich doch nur dazu, Machoverhalten zu entschuldigen. Kein Steinzeitmensch sollte als Erklärung herhalten, wenn heute Menschen sexuell belästigt werden. Und kein Steinzeitmensch kann heutiges weibliches*, männliches* oder genderfluides Sexualverhalten vollständig erklären. Stop trying.
Weiterführende Links:
Zu methodischen Fehlern und reißerischen Darstellungen in den Medien: hier
Zum Artikel in der Süddeutschen: hier
Ein evolutions-positiver Artikel in der Zeit (mit einer fragwürdigen Auffassung von Gender): hier
Ein interessanter Blogartikel eines Quantenmechanikers über das Thema: hier
Über Darwin und seine Theorien im Bezug auf Sex und Gender: hier
Über Jäger*innen und Sammler*innen: hier