5-Fragen-Interview mit Rhea Krcmarova zu “MONSTROSA”
Das Monster bin ich
Eine Station zur Behandlung von Essstörungen. Ein Kult um die Kontrolle des Körpers und ein Kampf um Leben und Tod.
Rhea Krcmarova verwebt in ihrem 2023 bei Kremayr und Scheriau erschienen Roman Monstrosa die Spannung eines Schauerromans mit implizit in den Handlungsverlauf eingewobenen Fragen: wie viel Sinn macht es Menschen mit Essstörungen als Gruppe stationär zu behandeln? Wie lernt frau wieder auf den eigenen Körper und seine Kraft zu hören, wenn es einer von Kindheit an abtrainiert wird? Herausgekommen ist ein Buch, das wir an einem Wochenende weggeschmökert haben.
© Rhea Krcmarova
Es geht um Isabella Vlcek, eine Opernsängerin, die keine Engagements bekommt. Und deswegen abnehmen soll. Letzte Hoffnung: ein stationärer Aufenthalt. Doch ihre Mitpatient:innen in der Klinik kämpfen nicht darum, weniger zu essen, sondern darum, nicht zu essen und zu erbrechen. Isa stört diesen Pakt und wird damit zur Feindin. Ein Kampf, bei dem sie mehr und mehr auf sich alleine gestellt ist, weil die Station während der Pandemie vergessen wird, beginnt.
Rhea Krcmarova treibt in ihrem Buch die Fragen der gesellschaftlichen Dimension des Monsterwerdens zum Äußersten. Alles läuft im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Ruder. Und das liest sich unglaublich spannend. Es ist gleichzeitig ein Buch, das nicht bei der Frage stehen bleibt: hat meine Krankheit mein Ich gefressen? Sondern stattdessen Bilder liefert für Selbstermächtigung, Mut, Zorn. Ein Buch, das die Kraft, die in unseren Monstern schlummert, weckt.
Wir haben Rhea Krcmarova 5 Fragen zu ihrem Buch gestellt und wollen hier auch auf zwei Möglichkeiten verweisen, das Buch transmedial zu erkunden:
Die Monstrosa-Playlist und Monstrosa transmedial.
Denn in den letzten Monaten hat Rhea aus ihrem Text ein transmediales Textkunstprojekt entwickelt. Es erforscht die Aspekte Körper / Selbsthass / Essstörung, aber auch Heilung und Selbstliebe aus neuen Perspektiven. Monstrosa Transmedial erweitert den Roman um Fotografie, Textilkunst, Stickerei, Druckgrafik, Videokunst und mehr. Viele der hier gezeigten Bilder stammen aus Monstrosa transmedial.
(c) Kremayr und Scheriau
Kleiner Elevator Pitch: Wie kam dieses Buch für dich zustande?
Nach einem Burnout habe ich einige Zeit auf einer psychosomatischen Station verbracht, wo auch viele Menschen mit Essstörungen in Therapie waren. Die Bilder der schwer Bulimie- und Anorexiekranken haben sich in mir eingebrannt, und waren die Inspiration für das Romanprojekt. Für mich sind Essstörungen und Selbstverletzung die reale Verkörperung von Body Horror – das Hungern, das Ritzen, das sich Übergeben, das sich fremd Fühlen im eigenen Körper, der Hass auf das eigene Fleisch. Ich wollte aber keinen „klassischen" Klinik / Therapieroman schreiben, sondern mich dem Thema mit den Mitteln der Literatur annähern. Monstrosa ist feministischer Antidiät-Bodyhorror in Zeiten von Social Media.
Auf welche Hürden und Schwierigkeiten bist du beim Schreiben gestoßen?
Monstrosa war ein sehr rechercheintensives Projekt. Mir war wichtig, über alle Aspekte der Essstörung informiert zu sein, um nicht nur meine eigenen Erfahrungen abzubilden – ich habe, bevor ich mit dem Schreiben begonnen habe, zwei Jahre recherchiert – zu Anorexie, Bulimie, aktuellen Therapieansätzen, Pro-Ana und Pro-Mia-Seiten im Internet, aber auch zu (Body) Horror, Gothic Novels, Mythologie ... Die Frage war, ob meine ungewöhnliche Idee aufgeht, ob die Geschichte funktioniert. Literarisch war meine Herausforderung, die realistischen und phantastischen / surrealen Elemente miteinander zu verknüpfen.
Interessant war, dass ich beim Schreiben gemerkt habe, wie weit ich mit meiner eigenen Heilung gekommen bin. Hätte ich noch mit meiner Essstörung gekämpft, hätte ich den Roman nicht schreiben können.
Eine Herausforderung kam interessanter Weise erst nach der Veröffentlichung: einige Rezensionen warfen dem Verlag und mir vor, dass das Buch keine explizite Triggerwarnung hat – obwohl der Klappentext sehr klar von Essstörungen, Psychiatrie und Body Horror spricht. Ich habe dann in einem Essay dargelegt, warum mein Roman in meinen Augen keine Triggerwarnung braucht.
Was versuchst du durch „Monstrosa“ vor allem zu vermitteln?
Ein zentrales Thema des Buchs ist die Angst vor dem, was in einem selbst lauert – das Primitive, Unkontrollierbare, Wilde, der Hunger, die eigenen Instinkte. Von Betroffenen werden Essstörung oft als "inneres Monster" bezeichnet. Mir war wichtig, dass Monstrosa durch die feminine Endung auch „weiblich" klingt (ähnlich wie das italienische „mostruosa", was monströs bedeutet), um eine Verbindung zu den weiblichen Ungeheuern als Mythologie und Literatur zu erschaffen.
© Rhea Krčmářová
Was macht dein Buch feministisch?
Das Thema Essen und Körper ist etwas, was Frauen besonders betrifft. Die Mehrheit der Menschen mit Essstörungen sind weiblich, und auch wenn nicht alle Frauen mit klinisch diagnostizierten Essstörungen kämpfen, bin ich in meinem Leben kaum einer Frau begegnet, die nicht mit sich und ihrem Körper kämpft oder/und ein sehr unentspanntes Verhältnis zum Essen hat. Der Druck, einem Idealbild zu entsprechen, geht aber nicht nur von Männern aus. Frauen unterstützen einander gegenseitig in dem Wunsch, einer Norm zu entsprechen, sind überkritisch gegenüber allen, die aus engen Schönheitsnormen fallen (oder bewusst ausbrechen). Die Fremd- und Selbstabwertung, das Jammern über vermeintliche Schwachstellen wird bei vielen Frauen zum verbindenden Ritual. Diese Obsession und permanente Selbstkritik ist ein Instrument patriarchaler Unterdrückung: soviel Energie und Lebenszeit wird damit verschwendet, sich selbst abzuwerten, zu kritisieren und kontrollieren – Energie, die wir dazu verwenden könnten, ein besseres Leben und eine bessere Gesellschaft zu erschaffen.
© Rhea Krcmarova
Welche andere Themen und Perspektiven sind damit verknüpft?
Monstrosa beschäftigst sich mit diversen Aspekten der Thematik. So analysiert der Roman die Rolle der Sozialen Medien: Wie sie den Druck auf junge Frauen und Mädchen verstärken und zum Entstehen hochtoxischer Pro-Anorexie und Pro-Bulimie-Communities beitragen, wo die Krankheit als „Lifestyle" zelebriert wird. Monstrosa thematisiert auch, wie der Druck, eine „Idealfigur" zu haben, auf andere Lebensbereiche eindringt und inzwischen sogar die Klassikwelt erreicht hat – und dass dicke Opernsängerinnen es wesentlich schwerer haben als noch vor zwei, drei Jahrzehnten, egal wie gut sie singen.
Mir war auch wichtig, dass Opfer von Essstörungen nicht nur „schlanke, normschöne junge weiße Frauen" sind. Die Patientinnen und Patienten sind divers – es gibt u.a eine Frau mittleren Alters, einen türkischstämmigen Teenager und zwei Männer (dem Bodybuilder vom Lande und den Schispringer mit serbischen Wurzeln).
(c) Ingrid Götz
Rhea Krcmarova ist Bachelorette der Sprachkunst (angewandt). Sie schreibt Prosa, Lyrik (ja, auch auf Instagram), Drama, Essays. Rhea verfasste aber auch schon Broschüren über Bio-Fertighäuser, feine Reportagen über Wellnesshotels und Küchenpsychologie, und war Testleserin für Liebesromane. Rhea mags transmedial – sie perfomt, stickt (Hand und Nähmaschine), kreiert Videogedichte, fotografiert, sucht nach der Schnittstelle zwischen Text und Textil. Für einen Ball in Versailles hat sie sich eine überbreite, blutrote Robe a la Francaise genäht, aber das ist eine andere Geschichte. Rhea lebt mit ihrer Katzenallergie in Wien.