Unisex – Parfum
Kann man männlich riechen, oder weiblich? Wieso kommen sich Frauen rebellisch vor, die einen Duft aus der Männerecke der Parfümerie greifen? Wieso wollen viele Männer nicht nach Blumen riechen?
Es ist faszinierend, was Düfte und Parfums mit Menschen anstellen können. Wie sie es wie nichts anderes vermögen, Erinnerungen zurückzubringen, Stimmungen zu verändern, das Kopfkino anzuknipsen. Das Lesen über, das Ausprobieren verschiedener Düfte regt den Geruchssinn an, sich weiterzuentwickeln, das Sprechen und Schreiben darüber, Wörter für Sinnesempfinden und eine Kunst zu finden, die leider nicht die Öffentlichkeit findet, die sie verdient hätte. Parfum ist weit mehr als ein duftendes Accessoire.
Die meisten Nutzer werden Parfum kaufen, um es als Ergänzung des persönlichen Stils aufzutragen, um sich sexy und schön zu fühlen oder für andere attraktiv zu werden. Als erotisches Lockmittel ist die plumpe erste Einteilung Herren- und Damenduft traditionell und wenig kreativ oder zeitgemäß. In den Parfumerieketten ist die erste Frage der Berater*innen, ob das Parfum für eine Dame oder einen Herren sein soll. An Anzeigen, Plakaten, Werbeclips, Flakon, Farbgebung usw. kann man meist recht schnell erkennen, an welches Geschlecht sich das Parfum richtet. Häufig bekommt man noch ein Model als Gesicht der Werbenanzeige dazu, sodass nicht uneindeutig bleibt, welche Genderorientierung das Produkt kaufen soll. Ist man komplizierter Gestrickt als femme oder homme, muss man mehr Düfte kaufen, um zu variieren oder mixen. Schadet der Industrie auch nicht.
Einige größere Marken, dagegen aber sehr viele Nischen-Parfumeure etikettieren ihre Produkte als unisex, also je nach Belieben von allen Geschlechtern zu tragen. In den 90ern wurde das Prinzip mit Calvin Kleins Gassenhauern CK One und CK Be wahrscheinlich fast jedem vertraut, beide Düfte wurden ohne Herren-Damen-Spezifikation (dafür aber strengem be sexy und be young-Diktat) in den Markt gebracht.
Was erwartet einen bei einem traditionellen Duft pour lui oder pour elle? Bei der Zuordnung einzelner Noten erschließen sich die Assoziationen schnell über Dichotomien wie süß–herb – während Leder, Tabak, Eichenmoos, Vetiver Vorstellungen eines Holz hackenden bärtigen Naturburschen entstehen lassen, wecken Jasmin, Vanille, Iris die Vorstellung eines Blumengartens und zarter Bekleidung. Ein sehr großer Teil dessen, was uns Düfte entweder für Männer oder für Frauen einordnen lässt, ist sozial erlernt, hat mit den ersten Begegnungen mit Duft, etwa dem Rasierwasser des Vaters, dem Parfum der Mutter zu tun. Selbstverständlich auch, woher einem bestimmte Noten bekannt sind: Gewürze aus der Küche, Cremes und Puder, Düfte aus der Werkstatt, Pfeifentabak, Lippenstift.
Spannend wird es, wenn Parfums probieren, historisch als maskulin empfundene Noten in einen Damenduft zu bringen (oder umgekehrt, aber da fallen mir nicht so viele Beispiele ein), ich denke hier beispielsweise an Yves Saint Laurents Rive Gauche - Eichenmoos dekonstruiert - oder Robert Piquets Bandit. In beiden Fällen repräsentiert der Duft ein Gender, das so einfach binär nicht zu beschreiben ist – und eine Option, denn tragen kann es jede*r, nach Vorliebe auch jeden Tag abwechselnd mit einem anderen. Parfum ist eine Möglichkeit, sich neu zu erfinden.
Bei Online-Diskussionen (siehe Lesetipps unten) zu Unisex-Düften ist ein spannendes Nutzerverhalten zu beobachten: Die Duftinteressierten wollen herausfinden, ob das Unisexparfum eher männlich oder eher weiblich riecht. Ist zwar für jeden Duft per praktischem Tortendiagramm angegeben, an welche Zielgruppe er sich zu welchem Prozentsatz richten könnte (hier gibt es die Option Blau oder Rosa), scheint im Fall gleichmäßiger Verteilung doch immer wieder die Frage aufzuploppen, ob das jetzt - unabhängig davon, wie es riecht - ein Männer- oder Frauenparfum ist. Blau oder Rosa?
Woher mag das kommen? Steckt eine Angst dahinter, mit dem Parfum Vibes auszustrahlen, die die eigene sexuelle Orientierung nicht unterstreichen? Angst, die Falschen anzulocken? Und wenn es um das Anlocken geht, müsste man dann nicht etwas tragen, das das Gegenüber als wohlriechend empfindet? Verwirrung!
Ich habe für euch drei neuere sommerliche Unisex-Düfte getestet, zu denen ich keine Blau-Rosa-Einteilung vornehmen werde.
Christian Plesch hat mit /L eine feine Leder-Zitrus-Variante geschaffen. /L startet mit Mandarine und Bergamotte deutlich zitrisch und klassisch sommerlich. Ein bisschen Schärfe ist im Auftakt, dabei, deutlicher Thymian. Das Elemiharz der Kopfnote sorgt für interessanten Dreh und von Beginn an etwas Tiefe. In der Herznote Maiglöckchen - das Veilchen und die Orangenblüte kann ich nicht einzeln ausmachen, aber etwas traditionelles Florales ist auf jeden Fall da. Frühling, Sommer, frische Luft klarer Himmel. Der harzige Charakter tritt ab der Kopfnote immer deutlicher hervor. Die Basis ist von Wildleder dominiert, Amber, Vetiver, rauchiges Holz, kuschelig, fein und sauber.
Wer hinter L'Eau ein zartes Wässerchen erwartet, wird enttäuscht werden, sommertauglich ist der Duft dennoch. Mein erster Eindruck entsteht durch die kräftigen Zitrusnoten, Bergamotte, Zitrone und Orange. Lecker, habe ich sogar kurz gedacht, doch nach ein paar Sekunden trifft schon cremige, nicht zu blumige Iris hinzu. Auf meiner Haut macht der Duft keine große Entwicklung, die Noten sind alle von Anfang an an und erzielen im Zusammenspiel einen runden, auf gewisse Weise sättigende Wirkung. Eine Art milder Milchigkeit, die Assoziation warmer Sommerhaut ist sicher dem deutlichen Moschus und Ambra der Basis geschuldet. Trotz reichlich Zitronen(-blüte) also meiner Meinung nach kein einfach nur erfrischender Zitrusduft, sondern etwas für den späteren Sommer, August, sattes Gelb, dunkleres Blau, ruhige Zufriedenheit.
Easygoing und fröhlich ist der hellere beiden beiden Unisex-Düfte die Christian Plesch mit Wackelwasser an den Start schickt. Er kreist leichtfüßig um das Thema Orange, im Kopf flankiert von Mandarine und von Beginn an etwas Schärfe durch Pfeffer und Ingwer. Nicht zu süß also. Weinhefe, die für die Herznote des Dufts notiert ist, kenne ich aus bisher noch keinem Duft. Etwas Essbar-Leckeres ist hier, ich fühle mich am ehesten an eine finnische Limonade Sima erinnert, die man sich selbst ansetzten kann. Orangenschalen, Zitronenschalen, brauner Zucker, Rosinen und ein Päckchen Hefe lässt man gären, bis sich kleine Prickelbläschen entwickeln. Kalt getrunken eine herrliche Erfrischung! Neroli bekomme ich deutlich mit, die Rose kann ich nicht ausmachen. Die Basis ist nicht zu schwer für diese kribbelige Sommerfrucht, so bleibt der Duft wie ein Flirt oder Capri-Eis, man will mal dran lecken.
Lesetipps
Online finden sich hervorragende Verzeichnisse von Parfums. In angegliederten Foren gibt es regen Austausch von Parfumanhänger*innen, Bewertungen und ausführliche Rezensionen sind einsehbar, Duftnoten aufgeschlüsselt, Informationen über Hersteller, Parfumeure usw. gesammelt – kurz: ein reger interessengebundener Onlineaustausch von Aficionados wie es ihn für die meisten Hobbys gibt. Die nutzererstellten Rezensionen und Bewertungen zu durchforsten ist großartig, wenn man Neues entdecken will, wenn man erfahren möchte, was andere mit einem bestimmten Duft assoziieren. Die Empfehlungen und Tipps von Gleichgesinnten wirken ehrlicher als in einer Parfumhandlungskette, die hauptsächlich Neuerscheinungen verkaufen möchte und kaum Muße mitbringt, sich mit allen möglichen speziellen Wünschen oder Duftrichtungen auseinanderzusetzen.