Gri|set|te, Substantiv, feminin

Gri|set|te, Substantiv, feminin

Sprache diskriminiert. Müssen wir jetzt nicht ausholen, ist online gleich nachgelesen, samt toller Tipps für diskriminierungsfreie Sprache.

Ein Mittel dagegen ist das Reclaiming von Wörtern, also das Wiederaneignen von als Beleidigung gedachten Ausdrücken, wie es bspw. mit „linksgrünversifft“, „Schlampe” oder „Tunte“ geschehen ist. Wichtig bei diesem Verfahren ist, dass nur tatsächlich Diskriminierte diese Vokabeln reclaimen können. Solon Han in Rush Hour und Borat erfahren, was passiert, wenn man das nicht beachtet.


Ich stolpere beim Lesen über das Wort „Grisette“. Es gefällt mir, ich stelle mir einen weiblichen Silberrücken vor, Susan Sontag mit ihrer tollen Strähne etwa, oder die Modekritikerin Sophie Fontanel. Das ist aber nicht gemeint.

Als Grisette bezeichnete man im im 19. Jahrhundert in Frankreich junge Frauen, die alleine wohnten und sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienten, etwa mit Nähen oder Fabrikarbeit, also eher schlecht bezahlte Jobs. Grisette bezeichnet einen günstigen grauen Stoff, den sich diese Frauen eben leisten konnten und deswegen grau gekleidet durch die Welt gingen. In Paris, lese ich nach, klang dem Wort auch bei, dass einige der Grisetten als Geliebte von Künstlern unverheiratet mit diesen zusammenwohnten, die Grenze zu gelegentlicher Sex Work verschwimmt. Also aushalten lassen, Bohème leben, Lotter- statt Ehebett. Und natürlich ist Grisette hier negativ wertend gemeint, im Gegensatz zu anständigen und/oder wohlhabenden Frau.

Anders betrachtet, gereclaimt, ist Grau gar keine so üble Farbe für Bekleidung. Weniger pathetisch und fusselanfällig als schwarz, und wie wir aus Karriereratgebern gelernt haben, die beste Farbe für die Businessgarderobe. Anders betrachtet, ist es gar nicht so übel, unverheiratet und finanziell selbstständig zu sein. Und den allergrößten Respekt habe ich vor den jungen oder älteren Frauen, die sich mit Scheißjobs die kleine Mietwohnung finanzieren, in der sie alleine wohnen.

Versuch einer Verwandlung: Als Grisette bezeichnet man im 21. Jahrhundert junge, alleine lebende Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, etwa mit mehreren Minijobs im Servicebereich oder einem Einstiegsjob im Medienbereich. Sie ist tough. Sie trägt stets ein graues Baumwollkleid in einem minimalistisch-japanischen Look, weil das am günstigsten ist und immer gut aussieht. Sie hat Style. Sie hat mehrere Geliebte, die alle Künstler*innen sind und die sie gerne heiraten wollen, aber sie möchte nicht. Sie möchte lieber alleine leben und ganz selbstständig sein, das hat sie selbst so entschieden. Ihr Leben ist alles andere als eintönig, ganz bunt ist es. Sie hat Lust, unanständig zu sein und sie hat kein Geld. Ain't nothing wrong with that.

The VVitch, feministisch geguckt

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