Popsofa: Agnès Varda - weibliche Körper durch die weibliche Linse
Agnès Varda starb letzten Monat. Sie hinterlässt über 50 Filme und Kurzfilme, gerne wird sie auch die Grand-Mère de la Nouvelle Vague (die Großmutter der französischen avantgardistischen Filmströmung Nouvelle Vague) genannt. Sie gilt als Begründerin der Strömung (damals war sie natürlich keine Grand-Mère sondern eine junge, aufstrebende Fotografin) und ist gleichzeitig die einzige Regisseurin, die ihr zugerechnet, bei Artikeln über die Nouvelle Vague aber auch gerne mal einfach weggelassen wird (z. B. hier). Auf arte.de und mubi.com könnt ihr zur Zeit viele Filme von ihr und über sie anschauen falls ihr ein bisschen Abwechslung zu Netflix und co. braucht.
Die anderen „Mitglieder“ der Nouvelle Vague, wie Jean-Luc Godard, Claude Chabrol, François Truffaut und Alain Resnais packten ja durchaus auch Themen wie weibliche Sexualität und Selbstbestimmung in ihre Filme, sie bleiben trotzdem geprägt vom Blick des in den 40ern und 50ern aufgewachsenen Mannes. Vereinfacht gesagt sind die Bilder von Schönheiten wie Anna Karina, Brigitte Bardot und Catherine Deneuve, die in die Kamera klimpern und begehrenswerte, für die männlichen Figuren bzw. Zuschauer meist unverständliche Wesen spielen, nichts anderes als Versionen des immer wiederkehrenden Manic Pixie Dreamgirls. Übrigens ein Typus der bis heute gerne in Popliteratur und Film vorkommt. Es gibt auch einiges Interessantes über diese Figuren zu sagen, aber sie bleiben gefangen in der Sexualisierung und Objektifizierung der männlichen Linse (vielleicht mit Ausnahme von „Hiroshima, mon amour“ von Alain Resnais, dessen Drehbuch Marguerite Duras schrieb). Varda hingegen verleiht ihren weiblichen Figuren Komplexität und Perspektiven, die darüber weit hinaus gehen. Besonders die weibliche Körperlichkeit ist in ihren Filmen ungewöhnlich und stark repräsentiert.
Von der Fotografie zum Film
Nach ihrem Studium der Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie an der Sorbonne arbeitete Varda als Fotografin und geriet eher durch Zufall zum Film, kannte sich kaum aus mit Filmgeschichte und Filmtheorie. So sind ihre Filme auch stark durch fotografische Anteile und Blickwinkel geprägt. In ihrem 1954 veröffentlichten Debut „La Pointe Courte“ geht es um ein klassisches Thema der Nouvelle Vague: eine junge Ehe und ihre Schwierigkeiten. Die Sehnsüchte der Frau und ihr Gefühl von Gefangenheit in der Beziehung stehen im Vordergrund.
„Solange ich schön bin, ist alles gut.”
Schon in ihrem nächsten Film „Cléo de 5 à 7“ wendet sie sich relevanten feministischen Themen zu: Eine Chansonsängerin wartet auf die Testergebnisse einer medizinischen Untersuchung und muss sich mit ihrer Endlichkeit auseinandersetzen. Dabei dekonstruiert Varda im Verlauf des Films die von ihrer Heldin anfangs geäußerte Überzeugung: „Solange ich schön bin, ist alles gut.” Cléo wird immer panischer, nach der Weissagung einer Tarotseherin wird sie auch immer abergläubischer und sieht überall Omen für ihren Verfall und Tod. Im Laufe des Films wird ihre Schönheit als Käfig entlarvt, der nicht „alles gut” macht, sondern sie am echten Erleben und Genießen des Lebens hindert, zumindest wenn sie eine derartige Wichtigkeit einnimmt. Das zeigt sich sowohl durch ihre eigenen Erfahrungen, als auch durch die Bilder, die Varda entwirft, das Fetischisieren von Kleidung und Spiegeln, Cléo als Puppe, die von ihrer Mäzenin und Begleiterin nicht ganz für voll genommen wird, an- und ausgezogen wird, und für die ihr Körper nur ein „Spielzeug” oder eine Schaufensterpuppe ist. Vor ihrer eigenen Fehlerhaftigkeit, ihrem Verfall und ihrer Nacktheit graut es ihr.
Der Mann ist nur einer unter vielen Auslösern von Cléos Entwicklungsprozess.
Ihre Schönheit schützt sie nicht vor Einsamkeit und so erfährt Cléo in den wenigen Stunden, die der Film porträtiert, sich als eigenständiger, sich selbst befähigender Mensch neu. Dabei nehmen Männer nur Nebenrollen ein, wir sehen grandiose Szenen zwischen Freundinnen und lange Shots, in denen Cléo alleine und irgendwann mit sich zufrieden durch die Straßen von Paris spaziert und durch den Park tanzt. Zwar trifft sie später auf einen Mann, der ihr Zärtlichkeit schenkt, er ist aber nur der letzte Auslöser einer Reihe von Prozessen, die Cléo sich selbst näher bringen. Manko am Film: der latent rassistische Stummfilm mit Jean-Luc Godard und Anna Karina in den Hauptrollen, den sich Cléo mit ihrer Freundin ansieht. Später hat sich Agnès Varda dann kritisch mit Rassismus beschäftigt.
Varda war Regisseurin und Aktivistin.
Varda drehte einige Dokumenationen und die meisten ihrer Filme haben dokumentarische Anteile. Sie interessierte sich stark für politisches Geschehen und setzte sich für unterdrückte Menschengruppen und politische Strömungen ein, war selbst Aktivistin. Ihr Dokumentarfilm „Black Panthers“ (1968) begleitet die Black Panther Party beginnend mit der Verhaftung einer ihrer Anführer: Huey P. Newton. Auf zurückhaltende und gleichzeitig präzise, unkonventionelle Weise porträtiert und interviewt sie wichtige Vertreter*innen.
“Black People are aware now.”
Auch hier nimmt sie eine spezifisch weibliche Sichtweise ein, unterhält sich mit dem inhaftierten Newton über die Stellung der Frauen und lässt vor allem Frauen zu Wort kommen. Selbstbewusst erklärt zum Beispiel Kathleen Cleaver, eine der Führerinnen der Black Panther Party, dass der Afro ein politisches Statement ist, das die Schönheit Schwarzer Frauen (und Männer) dekolonialisiert: “For many many years we were told only white people were beautiful, light skin, straight hair […], but this has changed, because black people are aware now.” So cool, wie sie in ihrer Lederjacke und weißem Rollpulli dasteht. Varda, als weiße Regisseurin, beweist viel Respekt und Feingefühl in den Interviews und in der Kameraführung. Auch hier zeigt sie eine ermächtigende Sichtweise auf weibliche (Schwarze) Körper.
L’Opéra Mouffe - ein Film, der die Sicht einer Schwangeren auf einen sozialen Brennpunkt einfängt
Außerdem zeigte Varda immer wieder neu, wie wandelbar und individuell das Erleben des weiblichen Körpers ist. Der Kurzfilm „L’Opéra Mouffe”, oder auf Englisch “Diary of a pregnant Woman”, den sie drehte, als sie selbst schwanger war, vermischt Dokumentarfilm und experimentelle Elemente. Untermalt von traurigem Gesang oder fröhlichem Chanson entfalten sich sinnliche Bilder und Empfindungen, die Schwangerschaft, Armut, Sexualität und Verwahrlosung ineinander übergehen lassen. Der weibliche Körper transformiert sich durch die Schwangerschaft, aber auch der Blick der Filmemacherin. Die teils trostlosen Gestalten, die die Rue Mouffetard (genannt „la Mouffe”, eine Straße im damals ärmeren Teil von Paris) bevölkern, werden voller Liebe betrachtet, auch sie waren einmal Embryos im Mutterleib. Ihre Tragik und ihr Leid werden dadurch nicht verharmlost, aber ihnen wird ihre Würde und Menschlichkeit zurückgegeben.
Ein junger Mann schmust mit einem Kätzchen, Schwangerschaft wird mit Gemüse abstrahiert.
Ein junges Liebespaar genießt Freiheit und Nacktheit in einem Innenhof und einem ärmlichen Kämmerchen in einem Gebäude dieser Straße, ein junger Mann schmust nackt mit einem Kätzchen, Schwangerschaft wird mit Aufnahmen von Gemüse, Obst, einer Glühbirne, einem Küken im Glas abstrahiert und als eigenwillige Neuerfahrung des Körpers dargestellt, die surreal, aber irgendwie schön ist. Am Ende bricht eine schwangere Frau beim Heimtragen ihrer Einkäufe fast zusammen und isst wenig später genüßlich einen Blumenstrauß, wir bleiben besorgt und gleichzeitig beglückt zurück.
Agnès Vardas Filme haben natürlich viele weitere Facetten. Die Vielfalt und Neugierde, mit der sie Körperlichkeit und weibliches Erleben porträtiert, machen sie zu einer Ikone des feministischen Films.